Jan Fabel 06 - Tiefenangst
Verbindung zu den anderen Morden besteht.«
»Meinen Sie, dass es separate Fälle sind?«, fragte Müller-Voigt.
Fabel schwieg einen Moment lang und unterdrückte die Versuchung, dem Politiker zu erwidern, dass solche Informationen Sache der Polizei seien und ihn einen Dreck angingen. »Unsere Ermittlungen setzen sich fort«, sagte Fabel schließlich ausdruckslos. Dann wandte er sich an van Heiden. »Sie wollten etwas mit mir besprechen, Herr Kriminaldirektor?«
»Ähm, ja. Das stimmt.« Van Heiden hatte die Spannung zwischen Fabel und Müller-Voigt offenbar gespürt. Er streckte den Arm über die weite Fläche seines Schreibtisches aus und hielt Fabel eine Akte hin. »Wie Sie wissen, findet hier demnächst ein wichtiger Umweltgipfel statt: GlobalConcern Hamburg. Als Umweltsenator führt Herr Müller-Voigt den Vorsitz im Organisationsausschuss. Aber das wissen Sie natürlich, denn Sie haben ja heute Morgen die Debatte im Radio gehört.«
»Nur einen Teil davon …« Fabel bedauerte nun wirklich, dass er Müller-Voigts Auftritt erwähnt hatte. Doch immerhin wusste er jetzt etwas über die Gipfelkonferenz in Hamburg.
»Es ist eine ungewöhnliche Konferenz«, sagte Menke, »weil man sich nicht nur darauf konzentriert, den Planeten zu retten, sondern vor allem über die geschäftlichen Möglichkeiten reden wird, die die Umwelttechnologien bieten können. Heutzutage beteiligen sich viele bedeutende Unternehmen an Umweltschutzaktivitäten. Neu ist, dass diese Akteure nicht von revolutionärem Eifer motiviert werden, sondern von dem alten Gebot, Gewinne zu machen. Nicht, dass es daran etwas auszusetzen gäbe, wenn sie gleichzeitig einen positiven Beitrag zum Umweltschutz leisten.«
»Aha.« Fabel blickte van Heiden mit einer verwirrten »Was habe ich damit zu tun«-Miene an.
»Sie wissen sicher, dass es in der Freien und Hansestadt geradezu eine Tradition ist, seine Unzufriedenheit zum Ausdruck zu bringen, indem man die Autos anderer Bürger in Brand setzt?«, fuhr Menke fort.
»Wie die erste Schwalbe oder die erste Blüte an den Bäumen«, bemerkte Fabel. »Man weiß, dass der Sommer in Hamburg angebrochen ist, wenn der Geruch brennender Autofarbe in der Luft liegt.« Niemand reagierte auf den Scherz, und Fabel fragte: »Was hat das mit der Mordkommission zu tun?«
»Letztes Jahr sind in Deutschland vierunddreißigtausend politisch motivierte Verbrechen begangen worden«, erwiderte Menke. »Ein erheblicher Prozentsatz davon besteht aus Brandanschlägen auf Autos und Geschäfte in Berlin und Hamburg.«
»Ich kann die Zahlen nennen, Jan«, ergänzte van Heiden. »Im vergangenen Jahr sind in Hamburg zweihundert Autos abgebrannt worden. Zehn in einer einzigen Nacht in Flottbek, ein Dutzend im Laufe einer Woche in Harvestehude. Hinzu kommt natürlich der Überfall auf das Polizeirevier im Schanzenviertel. Unglaublich. Ein Streifenwagen ist verbrannt, und mitten in der Stadt wird ein Revier von maskierten Rowdys angegriffen …« Van Heiden schüttelte verständnislos den Kopf. Fabel wusste, dass der Kriminaldirektor niemals würde begreifen können, weshalb in der wohlhabendsten Stadt Deutschlands, in seinem geliebten Hamburg, so viel Wut grassierte.
»In allen Fällen waren linksextreme oder anarchistische Gruppen verantwortlich«, setzte Menke die Ausführungen fort. »Und das ist ein beunruhigender Trend. Die überwältigende Mehrheit der politisch motivierten Taten, die wir beim BfV untersuchen, wird von Skinheads oder anderen Neonazis begangen. Fakt ist, dass die radikale Rechte zweimal so viele Straftaten verübt wie die radikale Linke. Aber im Moment ändert sich die Situation. Wir stoßen auf immer mehr Neidvergehen. Und die Indizien häufen sich, dass extremistische Umweltschutzgruppen daran beteiligt sind.«
»Ich glaube nicht, dass es fair ist, diese Gruppen ausschließlich den extremen Umweltschützern zuzuordnen«, warf Müller-Voigt ein. »Man könnte genauso gut von Anarchisten oder Linksextremisten sprechen.«
»Andererseits wäre es nicht das erste Mal, dass sich die beiden Denkrichtungen überschneiden.« Fabel achtete darauf, dass sein Tonfall ruhig und plaudernd blieb, als mache er eine allgemeine Bemerkung. Doch alle Anwesenden wussten, dass Müller-Voigt, ein Altersgenosse von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit, in den Achtzigern in die linksradikale Szene verwickelt gewesen war. Und man hatte Fragen danach gestellt, wie aktiv er in einigen der extremeren Gruppen mitgearbeitet
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