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Jan Fabel 06 - Tiefenangst

Titel: Jan Fabel 06 - Tiefenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Craig Russell
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anderen noch nie begegnet war. Es fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf, dass der Mann an der Tür ebenfalls Niels sein könnte, wenn auch in einer Verkleidung, aber er verdrängte den Gedanken, indem er, wie die Ärzte in Hamburg-Eilbek ihm beigebracht hatten, einer unvernünftigen und unlogischen Überlegung Vernunft und Logik entgegenstellte. Nein, der Mann an der Tür war real und keine weitere Version von Niels. Auch das Haus war real und keine exakte Kopie in einem Duplikat Hamburgs, die ihn irreführen sollte.
    Ohnehin konnte er den Namen des Mannes nicht kennen, denn das hätte gegen die Vorschriften verstoßen: Niemand erfuhr die Namen von Mitgliedern außerhalb seiner eigenen Zelle. Die Faschisten der Polizei Hamburg oder des BfV konnten dir keine Information durch Folter entlocken, wenn du sie nicht hattest. Niels nickte dem Mann im Vorbeigehen wortlos zu. Er traute ihm nicht, denn er traute fast niemandem, der älter als er selbst war. Schließlich hatten diese Leute der Welt all das Böse angetan. Außerdem war Vertrauen Niels sowieso fremd. Er mochte seine Wahnvorstellungen unter eine gewisse Kontrolle gebracht haben, aber er war immer noch argwöhnisch gegenüber der Welt, die er um sich herum wahrnahm.
    Im Haus war es düster. Hatte das Äußere bereits heruntergekommen gewirkt, so erschien das Innere ganz und gar baufällig. Große Brocken Putz waren von den Wänden gefallen, und eine Kruste aus Putzstaub, Schmutz und Unrat überzog die Dielenbretter.
    Ein etwa zwanzigjähriges Mädchen mit glattem blondem Haar stand am Ende des Flures neben dem Fuß der Treppe.
    »Er erwartet dich.« Sie neigte das mit Akne übersäte Kinn in Richtung der ersten Etage. »Zweite Tür rechts. Geh direkt rein. Ist dir jemand gefolgt?«
    »Niemand ist mir gefolgt.«
    »Bist du sicher?«
    »Ich bin sicher.«
    Tatsächlich hielt sich Niels nicht nur an die Sicherheitsvorschriften der Beschützer Gaias, sondern er folgte auch einer Prozedur, die zehnmal ausgeklügelter war als die von den Beschützern geforderte. Er erklärte niemandem sein Verfahren, denn sein Bedürfnis, sich abzusichern, erschien anderen absurd. Das Mädchen nickte, und Niels stieg die Treppe hinauf. Obwohl er angewiesen worden war, sofort einzutreten, klopfte er vorher an die Tür.
    Der Raum war irgendwann ein Schlafzimmer gewesen. Ein recht eindrucksvolles. Nun hatte man die Fenster von innen zugenagelt, sodass der Raum einer großen, versiegelten Kiste ähnelte. Aber hier war mehr Licht als in jedem anderen Teil des verlassenen Hauses: künstliches Licht von den überall im Zimmer stehenden Schreibtischlampen. Es fehlten die Unordnung und die Abfälle der anderen Räume: Die Fußbodenbretter waren sauber gefegt, und jemand hatte Kabel an ihnen befestigt. Es gab drei Computerarbeitsplätze an der Wand rechts von Niels, jeweils mit einem großen Monitor, und er konnte das monotone Summen von fünf mächtigen Gebläsen hören.
    Bei diesem Anblick hätte Niels sich erbrechen können. Diese Technologie repräsentierte alles, was die Beschützer Gaias bekämpften, sie war die völlige Verleugnung des Öko- und Anarchoprimitivismus der Organisation. Aber Niels wusste vom Kommandeur, dass solche technologischen Mittel, wie abscheulich sie auch sein mochten, für den Krieg gegen die Kräfte der Verschmutzung und Globalisierung unentbehrlich waren.
    Doch die Theorie half Niels nicht, mit der Realität fertig zu werden. Ironischerweise hätte dieses Zimmer, abgesehen von den schäbigen Wänden und den zugenagelten Fenstern, das Büro einer beliebigen Hamburger Firma sein können.
    Aber das war nicht der Fall. Direkt vor Niels stand ein breiter Schreibtisch, an dem der Kommandeur saß, ein vierschrötiger Mann von Ende dreißig mit dichten schwarzen Locken. Links vom Kommandeur hatte zu Niels’ Bestürzung ein Paar in grauer Geschäftskleidung Platz genommen. Sowohl der Mann als auch die Frau hätten aus einer Bank oder einer Versicherungsgesellschaft kommen können, und Niels fiel auf, dass sie die gleichen ausdruckslosen Mienen hatten.
    »Setz dich, Freese«, sagte der Kommandeur.
    »Wer sind die?« Niels nickte zu dem Paar hinüber.
    »Freunde.«
    »Gehören sie zu den Beschützern?«
    »Dies ist ein Krieg mit vielen Heeren, Niels, und unsere hier anwesenden Freunde sind mit uns verbündet. Sie kämpfen genau wie wir für Gaia, auf derselben Seite, aber auf einem anderen Schlachtfeld. Mehr als das braucht dich nicht zu interessieren.«
    Niels musterte das

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