Jan Tabak geht aufs Ganze
sehr ungemütlich. Er gab meterlange Gedichte auf und Hunderte von Geschichtsdaten, um so allen zu beweisen, daß er am längeren Hebel saß.
Zum Ausgleich legte ihm Walter Büscher eine tote Maus in den Schreibtisch.
Dafür bestrafte er die ganze Klasse, ohne nach dem Übeltäter zu fragen, mit einer zehnseitigen Strafarbeit.
Tim, der sich immer mehr zum Rädelsführer in der Klasse entwickelte, zog daraufhin nach Schulschluß mit sämtlichen Jungen hinter die Turnhalle und sagte ihnen, daß man jetzt etwas Einschneidendes unternehmen müsse, damit die andern Lehrer auf ihre Notlage aufmerksam würden.
„Ich schlage vor, daß wir morgen mittag aus allen rechten Hinterreifen der Lehrerautos die Luft herauslassen. Dann müssen die Herrschaften bei Schnee und Eis Reifen wechseln und haben eine gute Gelegenheit, über den Sinn von Kollektivstrafen nachzudenken. Seid ihr einverstanden?“
Keiner hatte was dagegen.
Und so stand die ganze Klasse am nächsten Tag nach Schulschluß auf dem Parkplatz und amüsierte sich köstlich über die Lehrer und Lehrerinnen, die sich mit Wagenhebern und Schraubenschlüsseln abmühten, den luftlosen Reifen gegen den Reservereifen auszutauschen.
Aber Tim und Herbert, die die Untat allein vollbracht hatten, damit es unauffälliger geschehe, waren von einem kleinen Jungen einer anderen Klasse beobachtet und verpetzt worden.
Und darum bekamen Jan Tabak und Herberts Vater einen Brief vom Schulleiter, in dem sie aufgefordert wurden, am folgenden Tage um elf Uhr in die Schule zu kommen, wegen eines „unerhörten Streiches, den sich die beiden Schüler mit der Lehrerschaft erlaubt hätten“. Jan erfuhr von Tim, was geschehen war, und fand den Streich gar nicht so unerhört.
„Sind denn die Lehrerinnen mit dem Reifenwechsel zurechtgekommen?“ fragte er.
„Nicht alle“, antwortete Tim grinsend, „aber die Lehrer halfen ihnen.“
Am andern Morgen machte sich Jan Tabak rechtzeitig auf den Weg und konnte pünktlich um elf Uhr das Lehrerzimmer betreten, in dem schon alle Lehrer und die beiden Attentäter ernst und schweigend versammelt waren. Herberts Vater war nicht gekommen, er hatte überraschend eine Geschäftsreise antreten müssen und sich entschuldigen lassen.
Er kneift, dachte Jan, er hat Angst. Na ja, es ist auch nicht ganz einfach, hier allein vor dreißig oder mehr Anklägern zu erscheinen. Aber ich werde es schon überstehen. Geschossen wird ja nicht, und auf scharfe Reden weiß ich wohl zu antworten. Er nahm auf dem angebotenen Stuhl Platz und wartete. Tim und Herbert mußten stehen, für sie war offensichtlich kein Stuhl mehr da.
Und dann ging es los.
Der Schulleiter räusperte sich und sagte: „Ich nehme an, daß Sie wissen, weshalb wir Sie in die Schule gebeten haben, daß Sie von Ihrem Pflegesohn bereits über die vorgestrigen Ereignisse ins Bild gesetzt wurden. Darum brauche ich nicht so weit auszuholen, sondern kann mich mit einer Korrektur des Bildes begnügen. Also, Ihr Pflegesohn Timotheus Wurzacher und Herbert Kramer haben sich den Spaß gemacht, aus je einem Reifen unserer Fahrzeuge die Luft entweichen zu lassen. Nach Schulschluß standen sie später mit ihren Klassenkameraden dabei und sahen zu, wie wir uns um unsere Autos bemühten und uns Hände und Zeug beschmutzten. Sie lachten und machten dumme Bemerkungen. Das darf natürlich nicht ungestraft bleiben, sonst können wir unseren Beruf nicht mehr ausüben.
Darum haben wir ernste Maßnahmen erwogen. Einige Kollegen halten eine Schulverweisung durchaus für angebracht. Wir wollen aber Ihnen vorher Gelegenheit geben, sich dazu zu äußern. Bitte, Herr Marwedel, Sie haben das Wort.“
Jan Tabak hatte während der Rede des Schulleiters die Lehrerinnen und Lehrer unauffällig beobachtet und den Eindruck gewonnen, daß sie in der Beurteilung des Falles gar nicht so übereinstimmten, wie es der Schulleiter glauben machen wollte. Er sah nun zu Tim und Herbert hinüber und bemerkte, daß sie immer noch standen.
„Tim und Herbert“, rief er ihnen zu, „kommt her! Ihr könnt euch jetzt eine Weile zusammen auf meinen Stuhl setzen. Euch müssen ja schon die Füße weh tun. Nachher wechseln wir wieder. Wenn ich gewußt hätte, daß die Schule so knapp an Stühlen ist, hätte ich meinen Hocker mitgebracht.“
Er stand auf.
„Nun kommt schon!“ rief er.
Aber da wurden plötzlich aus einem Nebenzimmer zwei Stühle hereingebracht, und die Jungen konnten sich setzen.
„Tja“, begann er nun, „was soll ich
Weitere Kostenlose Bücher