Jan Tabak geht aufs Ganze
noch nicht am Ende. Er hielt ein Stück des köstlich duftenden Fleisches in die Höhe und fuhr fort: „Seht euch das hier an, liebe Mitesser, verrät dieser knusprige Happen nicht auf tausend Meilen die Hand des Könners?“ Jan kniff die Augen zusammen und fragte sich, was der Junge im Schilde führe, denn daß dieses hohe Lied auf die Kochkunst seiner Frau der Vorgesang war zu einem andern Lied, einem möglicherweise recht garstigen, war ihm klar. Laut sagte er: „Mein lieber Junge, deine Tante ist schließlich Fachmann. Sie kocht seit über vierzig Jahren für mich.“
„Das merkt man“, rief Tim. „Den Fachmann schmeckt man bei jedem Bissen heraus, was, Nicole?“
Das Mädchen bekam einen roten Kopf. Es hatte soeben klammheimlich dem Hund ein großes Stück Fleisch zugesteckt, an dem ein Streifen Fett klebte, und sah aufblickend in Jan Tabaks Auge, dem das nicht entgangen war. Glücklicherweise fuhr ihr Bruder schon fort und zog die Aufmerksamkeit wieder auf sich.
„Wenn alles auf der Welt von Leuten gemacht werden würde, die ihr Fach verstehen“, sagte er, „hätten wir Zustände wie im Paradies. Wer kochen kann wie Tante Tina, kocht; wer singen kann, singt. Aber wie ist es bei uns? Da macht einer eine Prüfung, nennt sich Sänger und meint, daß er nun auch singen könne. Ein anderer nennt sich Koch, weil er das Fach ein paar Jahre gelernt hat, und kriegt doch nie so ein Schnitzel zustande, wie es hier auf meinem Teller liegt. Die Leute vergessen nämlich, daß auch Begabung dazugehört. Und die hat man oder hat man nicht.“
„Ganz recht“, stimmte Jenny zu, „Tina hat sie bestimmt. Aber mein Schnitzel könnte trotzdem etwas zarter sein.“
Tim überhörte das. Er war jetzt schön in Fahrt und näherte sich dem Kern seiner Rede.
„Unser Lehrer zum Beispiel“, sagte er, „ist ein studierter Mann, nennt sich großspurig Pädagoge und ist doch der größte Esel, der je vor einer Klasse stand.“
„Aber, Tim“, rief Oma Jenny, „wie kannst du so von einem Erwachsenen reden!“
„Der redet von uns genauso!“
„Ihr seid Kinder, das ist wohl ein Unterschied.“
„Aha, also uns darf man ohne weiteres Esel nennen? Nur wenn wir erwachsen sind, behandelt man uns über Nacht mit Höflichkeit und Respekt, dann sind alle dummen Esel klug geworden, was? Ich will dir mal was sagen, Oma Jenny, der Mensch ist entweder ein Esel oder er ist keiner. Wenn er aber einer ist, dann bleibt er es sein Leben lang, auch wenn er Minister oder Lehrer wird. Und unser Lehrer ist einer! Nur daß seine Ohren noch nicht zu wachsen anfangen.“
Nun ist er beim Thema, dachte Jan Tabak. Mal hören, wie es weitergeht.
„Was ärgert dich denn so an deinem Lehrer?“ fragte Tina. „Alles!“ rief Tim. „Der Mann versteht von Erziehung so viel wie eine Kuh vom Stallausmisten. Heute hat er uns allen eine Filmvorführung vermasselt, weil einer von uns einen Knallfrosch durch die Klasse geworfen hat. Er verlangte, daß wir ihn verraten, und faselte was von falschverstandener Kameradschaft und so. Aber wir haben dichtgehalten. Da hat er uns nicht den tollen Olympiafilm sehen lassen, der für die siebten Klassen in der Aula vorgeführt wurde. Er meint, mit solchen Kollektivstrafen könne er uns am besten erziehen. Aber der Mann befindet sich auf dem Holzweg, damit kriegt er uns nicht klein!“
„Meinst du denn, daß er euch kleinkriegen will?“ fragte Jan Tabak vorsichtig an.
„Na klar, was denn sonst!“ rief Tim. „Und nicht nur uns, die ganze Schule tyrannisiert er. Du mußt mal erleben, was er für Strafen verteilt, wenn er Aufsicht hat und in den Pausen wie ein Pascha über den Schulhof wandelt! Hat irgendeiner was getan, was verboten ist, sich geprügelt oder so, fragt er ihn, in welcher Klasse er sei, und wenn der antwortet, in der fünften, dann muß er fünf Seiten Strafarbeit machen. Sagt er, in der siebten, dann macht er sieben Seiten. Das hält der Mensch für einen tollen pädagogischen Gag. Neulich hat er den langen Siedenburg aus der Neunten nach der Klasse gefragt, da hat der gegrinst und geantwortet, er sei in der ersten. Aber das ist ihm schlecht bekommen, er mußte zehn Seiten machen. So was ist doch reine Willkür! Das darf man sich doch nicht gefallen lassen!“ In seinem Eifer vergaß Tim ganz und gar das hochgelobte Essen. Die andern waren fast fertig, Nicole schielte schon nach dem Pudding. „Ich glaube, du hast nicht die richtige Einstellung zu deinem Lehrer“, gab Tina zu bedenken.
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