Jan Weiler Antonio im Wunderland
eigentlich doch sehr nett. Sie kann toll singen. Ich bin sicher: Mit der kann man Pferde stehlen.
Oder zumindest Pferdeäpfel.
14:04. Ich glaube, da geht was.
14:09. Wir stoßen an und trinken. Danach wird mir klar: Ich habe mich geirrt. Eigentlich sieht Angelika super aus!
14:24. Angelika und ich sind ein Paar. Wir werden gemeinsam durchbrennen und im Hartz IV-Bezieher-Fernsehen auf-treten, wo wir auf kleinen Kunstledersesselchen sitzen und berichten, wie wir uns kennen gelernt haben. Der Moderator wird als Überraschung meine Noch-Frau Sara hinzubitten, und die wird sagen, dass so eine Party-Beziehung niemals hält. Wenn ich also demnächst nach Hause käme, würde sie das Schloss ausgewechselt haben. Angelika und ich werden aber nur lächeln, denn wir wissen, dass wir füreinander bestimmt sind.
14:38. Sie ist ein Engel. Mehr noch: Sie ist eine Göttin!
14:41. Sie sitzt auf dem Schoß eines blondierten Fettsacks am Nachbartisch und singt «Er gehört zu mir». Dabei streichelt sie seinen Kopf.
15:03. Als ich mit zwei Riesenbrezeln zurückkomme, ist sie weg. Ihre Freundinnen wissen auch nicht, wo sie hingegangen ist, und sie kommt auch nicht wieder. So ein Flittchen. Meine Sara würde so etwas nie machen. Nie!
120
16:00. Ich nicke kurz ein.
16:16. Marco weckt mich auf. Zeit zu gehen, finden seine Freunde, denn Angelikas Freundinnen überfordern sie mit ihrer Herzlichkeit. Es kommt noch zu Umarmungen und gegenseitigen Treueschwüren, dann gehen wir, nicht ohne vorher mehrere Liter Wasser abzuschlagen. Ich könnte nun langsam ins Bett. Ist ja auch schon spät, Mensch. Halb fünf ist es schon. Doch Qui, Quo und Qua haben noch eine wichtige Mission: Souvenirs. Sie können unmöglich ohne Fest-beute abziehen, das ist doch klar.
Zunächst versuchen sich Francesco und Marco am Schieß-
stand. Ihre Gewinne sind allerdings nicht der Rede wert, über ein mickriges Sträußlein Plastikblumen kommen sie nicht hinaus. Dafür hat Francesco einen Huthändler erspäht, und binnen Sekunden tragen er und die anderen Plüschmützen auf dem Kopf, die Bierfässer darstellen sollen und sogar Zapf-hähne haben. Mit den Hüten sind sie ungefähr so groß wie die anderen Oktoberfestbesucher.
Dann brauchen sie unbedingt Lebkuchenherzen. Die italienische Sprachvariante lehnen sie ab, die finden sie albern. Sie entscheiden sich für «I mog Di», «Spatzerl» sowie «Immer Dein». Schließlich bitten wir einen Losverkäufer, ein Grup-penfoto von uns zu machen.
Glücklicherweise legen Marco, Fürio und Francesco keinen Wert auf große Achterbahnen, was ich im Hinblick auf meine noch im Nacken verbliebenen Wirbel sehr begrüße.
Dafür zieht es sie aber in ein Spiegelkabinett, in dem sie sich weisungsgemäß verlaufen. Nach zwanzig Minuten sind Marco, Francesco und ich wieder draußen. Nach weiteren zehn Minuten löse ich erneut eine Karte, um Fürio zu suchen. Eine Viertelstunde später bitte ich einen Angestellten, mir zu helfen, und weitere dreißig Minuten später komme ich nach er-121
folgloser Suche meines Besuchs aus Italien wieder raus. Dieser steht fasziniert vor mir und fragt mich, warum ich es trotz Hilfe nicht geschafft hätte, durch das Labyrinth zu gehen?
Nun brauchen wir aber dringend etwas Süßes, also kaufe ich Zuckerwatte für alle und kandierte Äpfel, deren Geschmack anschließend mit einigen Würstchen und Gurken neutralisiert werden muss. Dies sind kulinarisch ziemlich grenzwertige Erfahrungen, ich bin auf diese Weise ernüchtert.
Aber meine Freunde sind überaus begeistert, auch und besonders von den tollen gelben Särgen, in denen die ohnmächtigen Besoffenen – «jaaaaa, er lebt noch» – von Sanitätern durch die Menge geschoben werden.
Auf dem Heimweg fragt mich Marco, was denn eigentlich die Polizei zu diesem Oktoberfest sage. Ich verstehe nicht, was er meint. Na ja, so viele Betrunkene, das sei doch ein schlechtes Beispiel für die Kinder. Ob das denn in Deutschland erlaubt sei?
«Natürlich ist das erlaubt, es ist sogar erwünscht», antworte ich.
«Man will, dass die Leute sich mit Alkohol vergiften?»
«Man will es nicht, aber man hat jedenfalls nichts dagegen.»
«Aber das ist doch gefährlich. Da kann doch viel passieren.
In Campobasso wäre so etwas nicht erlaubt.»
Ich erkläre Marco, dass bei uns sogar der Bürgermeister persönlich das erste Bier einschenkt. Er ist von Amts wegen dazu verpflichtet, das größte Besäufnis der Welt zu eröffnen.
Das findet Marco sensationell –
Weitere Kostenlose Bücher