Jan Weiler Antonio im Wunderland
erkunden. Die Jungs sind einverstanden, denn das Oktoberfest macht viel Lärm, und Lärm ist so etwas wie ein Magnet für meine italienische Familie.
Vor einer recht unspektakulär aussehenden Bude kündigt ein Mann an, es werde nun darin eine echte Enthauptung geben. Uiii! Ein Folter-Jokus wird angekündigt, mit Opfern aus dem Publikum. Genau wie in Abu Ghraib, denke ich, und löse 1 Da wird es dann wirklich kompliziert, denn polpettone heißt auch Hackbraten. Man kann in Italien also sowohl Gehacktes essen als auch reden. Manche Menschen können das sogar gleichzeitig.
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sofort vier Karten. Bevor die Enthauptung beginnt, müssen wir allerdings erst den Tanz eines etwa siebzig Kilo schweren weiblichen Schmetterlings über uns ergehen lassen.
Zur Liquidierung eines Festwiesenbesuchers wird nun ein Freiwilliger gesucht. Wir sitzen ganz vorne, und selbstverständlich hebt Francesco sofort die Hand. Er wird auserwählt, was ich problematisch finde. Wie soll ich bloß seinen Eltern erklären, dass wir auf einem Volksfest waren und ihr Sohn dort versehentlich, also bei einem Unfall, von einem bayerischen Schausteller geköpft wurde?
Feixend betritt Francesco die Bühne, und dann kommt ein ziemlich durchsichtiger Trick, für den David Copperfield in Las Vegas wahrscheinlich geteert und gefedert würde. Jedenfalls kracht die Guillotine abwärts, ein Kopf fällt in einen Korb, und ich denke: Na gut, so schlimm war's nicht. Alle lachen. Nur Francesco nicht. Der liegt weiterhin auf dem Bauch und rührt sich nicht.
Der Henker fordert ihn auf, sich zu erheben, aber Francesco bleibt liegen, denn er ist vor lauter Aufregung in Ohnmacht gefallen. Natürlich macht Fürio zahlreiche Fotos von den Wie-derbelebungsversuchen der Schmetterlingsfrau und des Henkers. Sie erwecken Francesco mittels leichter Wangenstreiche zum Leben, und unter tosendem Applaus verlässt er bleich, aber unversehrt die Bühne. Er hat sich mit seiner Performance geradewegs in den Show-Olymp geschossen.
Auf diesen Triumph muss nun aber endlich mal ein Bier getrunken werden. Wir ergattern einen Platz in einem der Biergärten, die aufgrund des Nieselregens nicht ganz so voll sind, und bereits nach zehn Minuten starrt mich Marco glasig an.
Dieses Bier, so bemerkt er, sei ja recht lecker, aber man trinke doch so einen Pokal nicht wirklich ernsthaft aus, oder? Ich muss ihn darüber belehren, dass es in Deutschland schlech-113
tes Wetter gibt, wenn man nicht austrinkt, und dass es sogar angezeigt sei, das Glas zügig zu leeren, damit das Bier nicht schal wird. Keine Ahnung, was schal heißt, ich sage einfach, dass das Bier innerhalb von zwanzig Minuten schlecht wird.
Da sich die Jungs nicht vergiften wollen, trinken sie nun also für ihre Verhältnisse ziemlich flott. Danach gehen wir auf die Wilde Maus .
Das ist eine Art Anfänger-Achterbahn ohne Looping. Auch das Tempo bleibt moderat, dafür sind die Räder unter den Wagen so weit hinter dessen Front montiert, dass man in den rechtwinkligen Kurven immer denkt, der Wagen schösse gera-deaus, was er aber im letzten Moment eben doch nicht macht.
Ich finde das zumutbar. In Anbetracht von Fürios labilem Gemüt möchte ich aber nicht mit ihm fahren, sondern nehme einen Wagen mit Marco, der sich an meiner Jacke festkrallt und wie irre kreischt. Wenig später fährt der Wagen los.
Auf der Fahrt drehe ich mich immer wieder nach den beiden Brüdern um und stelle fest, dass sie starr vor Schreck oder Verzückung die Fahrt zu genießen scheinen. Da ich nach hinten schaue, konzentriere ich mich nicht so auf die Fahrt und – knack – in der dritten Kurve dreht sich mein Kopf wie von selbst in Fahrtrichtung, und ein Nackenwirbel springt raus. Mein Chiropraktiker verdient viel Geld mit unbelehr-baren Wiesnbesuchern.
Mir reicht᾿s für heute, es ist auch spät geworden. Auf dem Weg zur U-Bahn kommen wir an einer Hühnchenbraterei vorbei, wo wir einkehren, damit das Bier im Bauch nicht so einsam ist. Die Brüder Fürio und Francesco Pizzi und Marco Marcipane trinken noch je eine Halbe zu ihrem Hähnchen und sind der Meinung, dass sich der Besuch schon sehr gelohnt habe. Besonders wenn wir morgen ganz früh in so ein Bierzelt gingen.
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Zwischen U-Bahn und Campingplatz, also in meinem Auto, wird Fürio übel. Er müsse mal ganz kurz aussteigen, übersetzt Marco. Leider geht das nicht, weil wir uns auf einer Autobahn befinden. Na gut, dann eben mal schnell die Scheibe runter-fahren. Leider geht das nicht, weil
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