Jan Weiler Antonio im Wunderland
und bei Licht betrachtet ist das auch sensationell.
Diesmal übernachten die Jungs bei uns, Sara hat Matratzen ausgelegt. Ich erzähle ihr von Angelika, und Sara ist sehr froh und dankbar, dass ich trotz dieser hammerharten Affäre 122
nach Hause gekommen bin. Am nächsten Tag reisen Marco, Francesco und Fürio ab. Ich bringe sie zu ihrem Wohnmobil, die Bierfassmützen werden sorgfaltig verstaut, man freut sich schon aufs nächste Jahr.
Drei Wochen später kommt ein großer wattierter Umschlag. Darin befinden sich ein Brief und ein gerahmtes Foto.
In dem Brief bedankt sich Marco für das einmalige Wochenende. Das Oktoberfest sei bestimmt das schönste Fest der Welt. Zur Erinnerung habe er ein Bild für mich gerahmt. Es zeigt vier Männer vor einer Losbude. Drei von ihnen tragen Wanderschuhe, ziemlich lächerliche Hüte und riesige Lebkuchenherzen. Sie haben einander die Hände auf die Schultern gelegt und strahlen wie Oscargewinner. Zwischen ihnen steht einer ohne Hut und ohne Herz: Ich. Bei diesem Anblick komme ich mir plötzlich schäbig vor.
123
ACHT
Sechs Monate nach Antonios Verrentung ist es vollbracht: Sein. Haus. Ist. Abbezahlt. Finanzmagier und Superchecker werden jetzt sagen, dass hinter diesem Rückzahlungsplan offenbar kein großes kaufmännisches Geschick steht. Wer klug handelt, hat sein Heim bereits fünf Jahre vor der Rente abbezahlt und nicht erst ein halbes Jahr danach. Ist das Haus rechtzeitig abgestottert, kann man sein Geld in die dann notwendigen Reparaturen (kaputtes Dach, kalte Heizung, feuchter Keller) stecken. Antonio muss damit noch ein wenig warten, er hat auch gar nicht vor, den vermoosten Garten zu erneuern oder die Waschbetonplatten vor dem Haus gegen Holzbohlen oder Kopfsteinpflaster einzutauschen. Er genießt erst einmal seinen Reichtum, immerhin hat er jetzt viel mehr Geld zum Ausgeben. Aber wofür? Er wird diese Fragen sicher nicht entscheiden, ohne mich zu konsultieren.
Eigentlich rechne ich immer mit Anrufen von Antonio, der mir dann dringende Dinge aus seinem Leben erzählen muss.
Schon ein Dreier im Lotto verschafft mir das Vergnügen einer halbstündigen Berichterstattung über die dramatische Ziehung, bei der er zuerst dachte, dass er gar nichts gewinnen würde, denn erst sei die 17 gekommen, nein, die 22 und dann die 4 oder 5. Nein: erst die 5 und so weiter und so weiter.
Antonios Prophezeiung, dass er einen Plan zur Rettung der alten Häuser von Campobasso habe, und den Blick, den er mir dabei im Urlaub zugeworfen hat, habe ich vergessen. Als er anruft, bin ich absolut arglos.
124
«I bin reich», heult es frohgemut aus dem Hörer. Er macht sich nie die Mühe zu sagen, dass er dran ist. Warum auch, ich erkenne ihn ja ohnehin sofort.
«He, alter casinista wie geht's?»
«I bin reich», wiederholt er, ohne aus dem Sirenenmodus zu gehen.
«Ich hab's gehört, hast du im Lotto gewonnen?»
«Näää, nix gewönne, alles mit Händer voll Arbeit selbste verdiente.»
Mit Händer voll Arbeit, soso.
«Was ist los?»
«Habi der Bude abgezahlte.» Seine Stimme steigert sich noch einmal dramatische.
«Ach so.» Jetzt ist der Groschen gefallen. Ich sage ihm, er könne sich doch sich nun endlich mal eine schöne Uhr kaufen, aber er lehnt mit den wundervollen Worten «’ne goldene Huur? Nee, magi nick » ab. Sein Auto ist auch erst zwei Jahre alt, und zu verwöhnende Enkelkinder sind unterwegs oder in Planung, aber noch nicht da. Aber was soll ich mir seinen Kopfzerbrechen? Es wird schon eine Möglichkeit finden, seinen Sozialstatus zu heben.
«Wir macke ein schön Reise», föhnt es aus dem Telefon.
«Das freut mich aber für euch.»
«Wir beide macke der Reis, Ursula bleibte zurück und be-wachte der Haus.»
«Du willst mit mir verreisen?» Ich fühle mich auf Anhieb gerührt und geehrt allerdings verunsichert mich die ganze Chose auch ein wenig.
«Und wo fahren wir hin?», frage ich mit der größten Vorsicht. Ich war gerne in Italien. Wenn er nach Italien will, soll er alleine fahren. Außerdem ist meine Anzahl an Urlaubs-tagen begrenzt. Bei ihm war das schon immer anders. Wenn 125
sein Kontingent verbraucht war, wurde er eben krank. So etwas kann man sich aber heutzutage nicht mehr leisten. Wenn er also nach Italien fahren will, lasse ich mir was einfallen. Ich höre, wie er am anderen Ende Luft holt. Dann kommt ein Tsunami aus Emphase und Begeisterung aus der Muschel geflutet: «Nach Amerikaaaa!»
«Wie bitte?» Ich bin starr vor Schreck. Das ist weit. Zu
Weitere Kostenlose Bücher