Jan Weiler Antonio im Wunderland
Flughäfen als mythische Orte. Aber inzwischen ist das Flugwesen globalisiert, es gibt überall Kaffee aus derselben Pipeline und in den Duty-Free-Shops keine Zigaretten mehr, die man nicht zu Hause schon einmal gesehen hätte.
Das hat auch sein Gutes, denn es nimmt mir die Angst. Ich muss mich in Tokio oder in Stockholm oder in Dubai nicht allzu fremd fühlen, weil ich gelernt habe, wie so ein Flughafen organisiert ist. Es ist wie in einer vertrauten Wohnung: Man weiß, wo alles steht. Dasselbe kann ich von der Innenstadt von Kairo oder Lissabon nicht sagen. Flughäfen sind daher für mich ideale Aufenthaltsorte im Ausland. Erst wenn ich meinen Koffer habe und aus dem Schutz des Flughafens her-austrete, überkommt mich die Fürcht vor der Fremde. Aber bis dahin ist noch Zeit.
Benno und Antonio sitzen bereits am Abfluggate und un-134
terhalten sich in einer Phantasiesprache. Womöglich ist das eine von Bennos Englischlektionen. Mir wird langweilig, also mache ich mich auf den Weg, einen kleinen Espresso zu trinken, was heutzutage in Flughäfen und insbesondere auf Bahnhöfen in Deutschland nicht mehr schwierig ist. Alle naselang gibt es bei uns irgendetwas zu essen. Es kommt einem vor, als würde damit ein eklatanter Missstand behoben.
Außerirdische, die eines Tages bei uns landen, wenn wir alle weg und die Luft rein ist, werden den Eindruck gewinnen, dass in Mitteleuropa eine schwere Hungersnot grassierte und man deswegen alles Menschenmögliche unternommen hat, um die Versorgung mit Lebensmitteln zu garantieren. Die Außerirdischen werden das am Unterschied zu afrikanischen Ländern festmachen, wo nicht überall Sandwich- und Bagel- und Crepesbuden herumstehen. Dort müssen alle unge-mein satt gewesen sein, werden die außerirdischen Forscher schlussfolgern.
Ich finde eine Kaffeetheke, lasse mich auf einem Barhocker nieder und bestelle einen doppelten Espresso-Macchiato. Vor einer halben Stunde habe ich einen ersten Vorgeschmack auf die Reise mit meinem Schwiegervater und seinem Busen-freund bekommen. Antonio hatte mir feierlich mein Ticket überreicht und mich links und rechts auf die Wange geküsst.
Dann standen wir am Security check. Benno zog brav seine Jacke aus und ging hindurch. Es piepste. Er wurde wieder zurückgeschickt und zog seinen Gürtel aus. Es piepste immer noch. Er kehrte nochmals um und entledigte sich seines Kleingelds, seiner Brille, seiner Schuhe, seines Feuerzeugs und einer Anzahl von Kleinstgegenständen aus seiner Hosentasche.
Hinter uns wurden eilige Fluggäste nervös. Er ging abermals durch das Tor, und es piepste.
Ein Herr mit einem Metalldetektor machte sich daran, 135
ihn zu untersuchen. Da sagte Benno: «Die Bombe is eh im Koffer.»
Das sollte man nie tun. Niemals. Augenblicklich ließ der Detektormann von Benno ab und winkte einen Kollegen herbei. Dieser befahl Benno in ein kleines Räumchen neben der Kontrolle. Benno winkte uns verzweifelt mit der linken Hand.
Die rechte brauchte er, um seine Hose festzuhalten. So verschwand er mit dem Beamten.
Dann ging Antonio durch die Sicherheitsschleuse, natürlich ohne der Aufforderung, die Jacke auszuziehen, nachzukom-men. Das ist eine der typischsten italienischen Eigenschaften an ihm. Wenn ihm Befehle einer Staatsmacht verkörpernden Person nicht gefallen, überhört er sie zunächst. Man kann es ja wenigstens mal versuchen. Das ist natürlich aussichtslos, auch in Italien übrigens. Es kostet nur Zeit und Energie. Er ging also los. Natürlich piepste es wie der Zeitzünder einer Atombombe in einem James-Bond-Film, und natürlich wurde er postwendend zurückgeschickt. Erste Passagiere in unserer Schlange wechselten nach links. Ich versuchte auszustrahlen, dass ich nicht zu diesen Typen gehörte, aber genügend Zeit hatte, um in dieser Marx-Brothers-Schlange weiter zu warten.
Antonio zog mit Bedacht zuerst seine Winterjacke, dann sein Jackett sowie seine Strickjacke aus und verlangte nach einem Kleiderbügel. Die Frau hinter dem Monitor sagte: «Da sind Kästen. Legen sie alles in den Kasten. Und leeren Sie bitte Ihre Hosentaschen aus. Schlüssel, Kleingeld, Zigaretten, Feuerzeug. Bitte alles in...»
«Nää. Habe Sie bitte ein Kleiderbugl?»
«Tut mir Leid, bitte legen Sie jetzt Ihre Sachen in den Kasten.»
Ein Mann mit einer großen Nase hob einen roten Plastik-kasten von einem Stapel und hielt ihn vor Antonios Brust.
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«Hier rein», sagte Nase tonlos. Nicht unfreundlich, eher mechanisch.
«Nein», sagte
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