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Jan Weiler Antonio im Wunderland

Jan Weiler Antonio im Wunderland

Titel: Jan Weiler Antonio im Wunderland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Weiler
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weil Benno zwar immer noch nicht lacht, aber bei jedem Witz ruft: «Du krisst die Tür nit zu.» Dabei tritt er gegen meinen Sitz. Zum Glück schläft er bald ein und verpasst das Abendessen, welches Fragen aufwirft: Wer denkt sich diese Bordverpflegung aus? Woraus sind die Bröt-
    1 lichen und prätentiösen Zahlen her, die sich kein Mensch merken kann? Die kommen davon, dass es Menschen gibt, die alles supergenau wissen wollen. Vierzigster Breitengrad reicht denen nicht, sie unterteilen deshalb die Grade noch einmal in Winkelminuten und –Sekunden. (1 Grad hat 60 Minuten; 1 Minute hat 60 Sekunden). Eine Winkelminute entspricht genau 1,852 km, das ist eine Seemeile. In Minuten und Sekunden kann man also ziemlich genau ausdrücken, wo man sich gerade befindet. Da, wo die Erde am dicksten ist, also am Äquator, misst ein Breitengrad 60
    Seemeilen (also inkm), das ergäbe einen Erdumfang von elegant aufgerun-deten 40000 km, jedenfalls wenn die Erde so wie der Kinderzimmerglobus eine Kugel wäre. Ist sie aber nicht. Die Längen- und Breitengrade stimmen also nicht wirklich, und was ihre Form angeht, ist die Erde alles andere als perfekt. Aber wollen wir sie dafür schelten?
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    chen? Ist das die Zukunft der Ernährung? Werden wir bald alle vom schönen Klang der Namen der Gerichte (gebeizte Flusskrebsschwänze auf Wildreis an Erbsschaum) satt statt von der Matsche, die sich dahinter verbirgt?
    Wir fliegen über den Nordpol, ich höre Toni und Benno leise schwatzen. Dann kommt die Stewardess mit bunten Kärtchen, die wir ausfüllen sollen. Man benötigt sie zur Einreise in die USA. Dieses Land will alles ganz genau wissen. Eigentlich signalisieren diese Karten, dass die Vereinigten Staaten von Amerika nicht scharf auf Besuch sind. Für ein Land, das einmal von Besuchern gegründet wurde, sind die ganz schön streng mit uns. Aber das ist wohl der Stil der Zeit.
    Auf meiner Uhr ist es spätabends, als wir auf dem Flughafen JFK landen. Hier in New York ist es Nachmittag. Und es sieht nicht gerade warm aus. Überall Lichter! Der erste Eindruck von Amerika ist der eines Kindes, das überall im Haus die Lampen anmacht, damit es sich nicht fürchtet.
    Wir steigen aus. Antonio hat die umliegenden Sitzreihen noch mit einem Striptease erfreut, weil er doch lieber die lange Hose tragen will. Die Thrombose Strümpfe behält er erst einmal an. Ist ja schließlich schweinekalt hier. Wir entsteigen dem Flugzeug und gehen über einen final verschmutzten Teppich einen Gang entlang. Alles wirkt so abgenutzt und wie von einem dünnen öligen Firnis überzogen. Es riecht auch so.
    Wir strömen mit der Herde von Einreisewilligen in einen riesigen Saal, an dessen Ende braune Schalter auf uns warten.
    Wir stellen uns in mäandernde Kordelreihen und rücken wie Spielfiguren von Zeit zu Zeit einen Schritt nach vorn. Viel spä-
    ter weiß ich: Hier in Amerika steht man immer in Kordelreihen und radelt sich in Engpässe ein. Das ganze Land ist eine riesige Strickliesl.
    Als wir an der Reihe sind, werden wir getrennt. Ich gehe als 143
    Erster an den Schalter, Antonio nach mir, aber weit entfernt, und Benno schließlich nach links, drei Schalter weiter. Die Einreise in die USA ähnelt der in die DDR zum Transit nach Westberlin. Allerdings wurden mir dort nie Fingerabdrücke genommen, und ich wurde auch nie fotografiert. Nur blöd befragt.
    Hier ist das anders. Vor mir sitzt eine uniformierte Dame afroamerikanischer Herkunft. Sie heißt Petrus, so steht es auf ihrem Namensschild. Ihre Frisur sieht wie ein Ananasbüschel aus, und ihre Nägel sind sehr lang und sehr rosa.
    «Warum reisen Sie in die USA ei n?»1
    «Ich bin Tourist.»
    «Was wollen Sie sich ansehen?»
    Eigentlich geht das Miss Petrus nichts an, aber ich will meine Chancen bei ihr nicht verschlechtern. Also antworte ich schnell: «Vielleicht das MoMA.» 2 Da will ich wirklich gern hin.
    «Was ist das MoMA?»
    «Ein Museum.»
    «Nie gehört. Sehen Sie mich an. Nicht bewegen.»
    Sie zieht eine kleine Kamera, die an einem gelenkigen Stativ befestigt ist, zu sich herunter und fotografiert mein Gesicht.
    Dann muss ich meine Fingerkuppen in einen Scanner legen.
    Ich werde gewissermaßen erkennungsdienstlich behandelt.
    Dabei will ich hier nichts stehlen. Wenn Miss Petrus mich lässt, will ich sogar Geld hier ausgeben. Ich lächle sie an.
    1 Das fragt sie natürlich auf Englisch. Ab hier gilt: Wenn Amerikaner vorkommen, wird englisch gesprochen. Versteht sich eigentlich von selbst, ist ja

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