Jan Weiler Antonio im Wunderland
merkt das, und sein Ton wird versöhnlicher.
«Wir werden den Fall prüfen. Wenn es in Ihrem Gepäck nichts Verdächtiges gibt, müssen Sie sich keine Sorgen machen.»
Das beruhigt mich. Ganz offensichtlich hat die Polizei unsere Koffer eingesammelt. Hoffnung verströmt kühle Luft in meinen erhitzten Körper. Nur das Geschrei nebenan macht mich nervös. Was ist da los? Die Tür geht auf, und ein weiterer Beamter steckt seinen Kopf herein. «Lieutenant, kommen Sie bitte einmal herein», sagt der Beamte, und mein Polizist verlässt den Raum. Einige Minuten später ist er wieder da und lässt die Tür offen. Ein Schwall Italienisch dringt herein. Jemand redet laut, aber es ist nicht Antonio. Der Polizist winkt mich heran. Ich stehe auf und gehe an die Tür. Antonio und Benno sitzen immer noch auf ihren Stühlchen. Benno schaut so neugierig unaufgeregt wie eh und je, aber Antonio hört aufmerksam zu und – lacht. Dann ergreift er das Wort und plap-150
pert munter drauflos. Sein neapolitanisch geprägter Dialekt ist schwer zu verstehen, aber die Rahmenhandlung verstehe ich trotzdem. Es geht um irgendeine Ortschaft bei Neapel, wo ein Cousin seiner Mutter herkommt. Als Antonio mich sieht, ruft er: «Komme rein, liebe Jung, hier iste alle okay. Toni hatte alle geregelt.»
Dann stellt er mir Pino Carbone vor. Er ist Polizist und wurde als Dolmetscher geholt, nachdem die Beamten an den beiden merkwürdigen Ausländern gescheitert waren. Carbone hatte recht schnell herausgefunden, dass die Herren durch ein Versehen die Dokumente falsch ausgefüllt hatten und vollkommen unverdächtig waren. Des Weiteren haben Pino Carbone und Antonio entdeckt, dass sie nicht nur aus derselben Ecke der Welt, sondern auch noch aus derselben Ecke Italiens, sogar aus derselben Ecke der Region Molise stammen. Was für eine Freude! Carbone ist ein um die Hüften recht gut gefüllter Mops mit einem angegrauten Haarkranz.
Als er mich sieht, sagt er auf Italienisch: «Ist er das?»
Und Antonio: «Ja, mein deutscher Schwiegersohn. Ich bitte darum, ihn ebenfalls zu entlassen. Er ist absolut harmlos, ich bürge für ihn.»
Moment mal, habe ich die Scheißpapiere falsch ausgefüllt oder er? Ich bin zu schwach, um noch aufzubegehren.
«Sag Pino Carbone guten Tag», fordert mich Antonio mit patriarchalischer Geste auf.
«Guten Tag, Sir», sage ich.
Unsere Koffer stehen an der Tür. Carbone bringt uns noch nach draußen, wir rufen ein gelbes Taxi. Ich wollte schon immer mal in so einem Ding sitzen, aber jetzt ist es mir egal.
Ich möchte nur duschen und ins Bett. Es ist erst ganz früh am Abend, aber die Zeitverschiebung tut ihr grässliches Werk. Ich nehme schemenhaft wahr, wie das endlose Queens an uns vor-151
überzieht, Flushing Meadows, La Guardia. Benno quengelt, dass er auf die Toilette muss, aber das kommt gar nicht bei mir an.
Ich höre zum ersten Mal die Sirene eines Polizeiautos. Wie im Fernsehen. Aber ganz genau wie im Fernsehen. «Wuhu-uui.» Und wenn das Polizeiauto irgendwo hält, noch einmal, aber nur kurz und sterbend: «Wuuu.» Als wir in der 42. Straße am Hotel ankommen, werde ich noch einmal für einen Augenblick munter. Es handelt sich um das Haus einer preiswer-ten Hotelkette. Hinter jeder Tür vermute ich einen unglücklich masturbierenden Handelsvertreter, so ein Laden ist das.
Aber was soll’s, solange das Bett okay ist.
Benno und Antonio teilen sich ein Zimmer, ich wohne alleine. Das Bett erweist sich als so schmal wie ein mitteleuropäisches Fensterbrett, die Klimaanlage als laut wie ein Lastwagen, und im Bad gibt es etwas, das aussieht wie eine Dusche mit hohen Beckenrändern oder eine halbe Badewanne. Das Fenster lässt sich nicht öffnen und geht nicht zur Straße, sondern zu einer zwei Meter entfernten Mauer. Ich setze mich aufs Bett, das dabei gefährlich einsinkt, und bin deprimiert.
Dann sehe ich, wie auf der Wand der Schimmel Orgien feiert.
Wenn ich eine Zigarette anzünde, fliegt der Laden wahrscheinlich in die Luft. Ich will gerade ein Streichholz anrei-
ßen, da sehe ich den großen Aufkleber, der mir harte Strafen androht, wenn ich rauche, also lasse ich es sein. Ich bin zu müde, um mich zu beklagen. Es würde auch niemand zuhö-
ren. Aber ich werde mich bestimmt nicht mit dieser spermati-schen Pferdedecke zudecken, ich werde einfach unzugedeckt einschlummern. Gute Nacht! Also lege ich mich aufs Bett und falle in einen nervösen Schlaf.
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TEN
Nachts um vier wache ich in meinen Klamotten auf,
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