Jan Weiler Antonio im Wunderland
Redewendung auch so ähnlich. Dort sagt man
«non capisco un cavolo», also «verstehe nur Kohl». Kohl ist in diesem Zusammenhang nicht weniger merkwürdig als Bahnhof. Im Süden verbeketer ist «non capisco un cazzo», was die Sache in den Bereich des Geschlechtlichen bringt, aber auch nicht unbedingt verständlicher macht.
Überall im Land gilt «non capisco un tubo», «verstehe einen Schlauch».
Was das soll, weiß kein Mensch.
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Antonios Übersetzer, Kegelbruder und bester Freund Benno kommt an unseren Tisch und stellt seinen Teller mit in Damenstrumpfhosen gestopfter Säugetier-Biomasse ab. Er hat noch einen großen Klumpen weißliches Rührei draufge-schmonzt. Hmm, lecker.
«Mauro.»
«Wie, Mauro?», frage ich. «Wer ist Mauro?»
«Na, Mauro, habi dirdo erzählte von Mauro.»
Jetzt dämmert mir etwas. Vor Jahren war mal die Rede von einem gewissen Mauro. Das war ein Schulfreund von Antonio, einer aus seiner Kinderbande. Mit den Jungs von der Porta Mancina hatte Antonio großartige Abenteuer erlebt. Einer von ihnen war damals mit seinen Eltern ausgewandert. Nach Amerika. Sein Name war Mauro gewesen, das weiß ich noch.
«Du meinst den Mauro aus Campobasso?»
«Jawoll, meini. Wir müssen der besuchen.»
«Aha, und was willst du von dem?»
Antonio trinkt einen Schluck von dem Espresso, sieht an-gewidert in die Tasse, stellt sie ab und schiebt sie mit einer theatralischen Geste über den halben Tisch. Dann erfahre ich den Zweck unserer Reise.
Mauro Conti wanderte in den fünfziger Jahren aus, damals war er ungefähr fünfzehn Jahre alt. Sein Vater hatte als Arzt etwas Geld zurückgelegt, und so konnten die Contis sich die Überfahrt leisten. Mauro durfte sogar studieren und wurde Architekt, wie Antonio ausführt. Mein Schwiegervater holt weit aus, berichtet von der langen Tradition großartiger Baumeister in seinem Heimatland und kommt schließlich zum Kern seines Plans. Was nämlich bauen Architekten? Häuser!
Und was geht in Campobasso gerade zugrunde? Häuser! Und wer wäre besser geeignet, dieser Misere entgegenzutreten als der weltberühmte Mauro Conti? Ich bin sprachlos über so viel 156
Logik. Benno verzehrt Würstchen Nummer 14 und sagt: «So sieht dat mal aus.» Offenbar kennt er den Plan schon. Weiter geht’s.
Er, Antonio Marcipane, wird den bewunderten, den großen Sohn der Stadt Campobasso nach Hause holen, auf dass dieser sein Lebenswerk mit der Restaurierung seiner Heimat krö-
ne. Das wirft natürlich Fragen auf. Warum muss es denn zum Beispiel unbedingt Mauro Conti sein, der die Altstadt vor dem drohenden Abriss bewahrt? Es gibt doch jede Menge hoch angesehener Architekten in Italien. Und darüber hinaus auch in anderen Ländern. Görlitz ist ja auch nicht von Mauro Conti renoviert worden. Antonio sieht mich mitleidig an. Campobasso sei doch total pleite, die könnten sich das doch gar nicht leisten. Aber Mauro werde natürlich kostenlos arbeiten, für umme, wie es so schön heißt. Hier geht es um Heimat, um Verpflichtung. Er wird es uns nicht abschlagen, wenn wir als dreiköpfige Delegation kommen und ihn bitten. Daher auch keine schriftliche Anfrage, so etwas muss man nun einmal per-sön-lich machen. Da muss man mit den Augen arbeiten.
Hier hat Antonio Recht, bei mir hat er auch schon erfolgreich mit den Augen gearbeitet.
«Also gehen wir gleich zu ihm und überreden ihn, nach Italien zu kommen», fasse ich kurz zusammen.
«Sobalde wir ihm gefunde habe.»
«Moment mal. Du hast keinen Termin mit ihm gemacht?»
«Weißi seiner Adress?»
«Toni, sag jetzt nicht, dass du gar nicht weißt, wo er in New York wohnt oder sein Büro hat?»
«Nein, kein Ahnung, aber kann ja nickte zu komplizierte sein. Für dieser Dinge biste du da in unser Team.»
«Das heißt, der Typ weiß auch gar nicht, dass du ihn besuchen willst?»
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«Wozu? Iste ein Überraschung fürihn.»
Jetzt wird mir einiges klar. Antonio brauchte für seine Reise einen Übersetzer und einen Scout. Benno hat sich bereits disqualifiziert. Und nun soll ich hier den Pfadfinder spielen.
Na, super. Ich spüre, wie Verzweiflung in mir hochsteigt. Ich sitze hier in einem absolut beschissenen Hotel mit einem Würstchen essenden Irren und meinem verspulten Schwiegervater, und gleich machen wir uns auf die Suche nach je-mandem, der unseren Besuch so dringend nötig hat wie ein Herpesbläschen. Warum habe ich da mitgemacht? Warum sitze ich jetzt nicht zu Hause auf meiner Couch? Warum lä-
chelt Antonio die ganze Zeit
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