Jan Weiler Antonio im Wunderland
gemütlich eingemummelt in der fiesen Decke. Nach einem durch Ekel ausgelösten Veitstanz gehe ich ins Bad und sondiere die Lage.
Ta, richtig, bin in New York, der Stadt, in der niemand schläft.
Das kommt wohl vom Jetlag. Ob Benno und Antonio schlafen? Ich habe mich nicht mehr richtig um sie gekümmert, seit wir angekommen sind.
Ich sah sie noch auf dem Flur, wo sie die Tür nicht aufbe-kamen. Man muss mit seiner Zimmerkarte vor einem Magne-ten herumfuchteln, was Antonio in helle Aufregung versetzte.
Ich wartete, bis sie dann doch in ihrem Doppelzimmer verschwunden waren, und danach habe ich nichts mehr von ihnen gehört. Nach den Kapriolen von gestern wäre es sicher gut, mal nach ihnen zu sehen. Auf der anderen Seite sind die zwei zusammen über 120 Jahre alt und bedürfen keiner Aufsicht beim Schlafen. Ich beschließe also, meine Sachen auszupacken und das Fernsehprogramm zu checken. Dabei fällt auf, dass die Amerikaner genau denselben Mist anschauen wie wir. Es ist gleichzeitig beruhigend und empörend, dass das Fernsehen die Menschen überall auf der Welt auf dieselbe Weise sediert und verblöden lässt.
Um halb sieben halte ich es nicht mehr aus und rufe in Antonios Zimmer an. Die haben hier klotzige, irgendwie sehr unschicke Telefone. Er hebt ab, noch bevor es richtig getutet hat, offenbar sind Benno und er schon lange wach – oder sie haben gar nicht geschlafen.
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«Was macht ihr?»
«Spielen ein schöne Partie scacchi.»
Schach ist eine der Lieblingsbeschäftigungen meines Schwiegervaters. Er hat immer so ein winziges Kästchen dabei mit kleinen Steckfiguren aus Plastik. Allerdings fehlen den schwarzen Figuren ein Turm und ein Läufer, die er durch abgebrochene Streichhölzer ersetzt hat. Wenn man nicht genau aufpasst, wechseln Turm und Läufer dauernd die Funktionen.
«Wie kann dein Turm so ziehen?», fragt man dann.
«Ist gar keine, iste ein Läufe.»
«Eben war der noch ein Turm.»
«War er nie.»
Toni bringt selten eine Runde zu Ende. Das liegt oft gar nicht an ihm, sondern an seinen Gegnern, zum Beispiel an mir. Es macht einfach keinen großen Spaß, mit ihm zu spielen, weil er ständig unter lautem Bedauern seine Züge zurück-nimmt. Nein, er habe sich vertan, ruft er dann und stellt schon beim allerersten Zug seinen Bauern immer wieder auf die Aus-gangsposition. So geht das weiter, manchmal bittet er sogar darum, den vorvorletzten Zug noch einmal zu wiederholen.
Entweder gebe ich dann auf, oder ich biete ihm ein Remis an, welches er freudig annimmt. Wenn er mit Benno spielt, so dauert ein Match vermutlich Tage. Aber dafür sind wir nicht nach New York gekommen, vermute ich jedenfalls.
«Wann willst du frühstücken?», frage ich ihn. Wir verabreden uns für acht Uhr. Ich werde dann auch erfahren, was wir hier eigentlich genau wollen. Bin schon sehr gespannt, schließlich gab es ja einige Andeutungen.
Als ich um acht Uhr im Frühstücksraum eintreffe, sehe ich Benno und Antonio schon von weitem. Letzterer sitzt an einem Tisch und spricht mit dem Kellner. Antonio fragt ihn, ob 154
er Italiener sei, was der Kellner freundlich verneint. Und ob er denn Italienisch spreche. Auch nicht. Und ob es Espresso gäbe. Ja, das schon. Aha, dann einen Espresso bitte. Benno steht am Frühstücksbuffet und lädt sich kleine Würstchen auf den Teller, so ungefähr dreißig Stück. Ein nahrhaftes, gesundes Frühstück ist das. Sein Outfit verrät eine gewisse Kenner-schaft, was Städtereisen angeht. Er trägt nagelneue strahlend weiße Turnschuhe, ein rotweiß kariertes Hemd und darüber eine blaue Windjacke. Um den Hals hängt ein riesiger Brustbeutel, der schon von weitem brüllt: «Reiß mich ab, in mir sind nur Wertsachen!» Vielleicht sollte ich ihm vorschlagen, das Ding gar nicht oder unter der Kleidung zu tragen. Wir wollen doch das Schicksal nicht herausfordern.
Ich setze mich zu Antonio und lege meine Hand auf seine.
Er gefällt mir heute Morgen. Frisch rasiert und eingestäubt mit einem atemberaubenden Duft, sitzt er mir gegenüber. Seine Augen strahlen, er wirkt tatendurstig, jung, fast kindlich. Er kann so wunderbar neugierig aussehen, das mag ich an ihm.
«Oookay», sage ich. Ich kann auch neugierig aussehen.
«Was machen wir jetzt? Warum sind wir hier?»
«Diese klein Abordnung hat ein Aufgabe zur Überbringung von Fakte und zur Rettung?»
Hä? Ich verstehe nur Bahnhof. 1
«Was für Fakten? Was für eine Rettung? Wem willst du was überbringen?»
1 In Italien gibt es diese
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