Jan Weiler Antonio im Wunderland
meiner Frau. Im Fernsehen läuft Sport, das Spiel von heute Abend. Ich sehe noch einmal diese unglaubliche Halle, diesen Schnellkochtopf für Amerikaner. Die Kamera zoomt die ersten Zuschauerreihen ab, wo immer die Prominenten sitzen.
Sportreporter 1: «Hier sitzt PuffDaddy, er trägt einen Anzug aus seiner eigenen Kollektion.»
Sportreporter 2: «Ja, und da ist Bono, wie immer mit Sonnenbrille. Aber wer ist das?»
Sportreporter 1: «Wer? Der da? Keine Ahnung, er winkt uns mit etwas. Ist das eine Fahne?»
Sportreporter 2: «Ganz recht, das ist eine Fahne. Es ist die Fahne von Queens. Keine Ahnung, wer das ist, aber er winkt mit der Fahne von Queens.»
Jungs, ich kann euch sagen, wer das ist: Antonio Marcipane aus Kempen am Niederrhein, der seinem Kumpel Pino Carbone aus Queens einen Gruß schickt. Benno und ich werden 234
von der Fahne verdeckt, also entgeht mir die einzigartige Gelegenheit, einmal mich selbst im amerikanischen Fernsehen bewundern zu können. Aber Antonio verpasst sie genauso. Er schläft schon längst.
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FOURTEEN
Wenn man an der sozialen Spitze der Gesellschaft angelangt ist, dort, wo nur ganz wenige hindürfen, dann sollte man zu-nächst einmal lang schlafen. Das fällt mir leicht, denn hier hört man weder, wie der Nachbar im Zimmer zur Rechten an einem Asthmaanfall oder einer Minibrezel erstickt, noch die Sirenen der Polizei. Zeit zu haben ist der größte vorstellbare Luxus, also trödele ich herum, schmiere mich mit allen Lo-tionen ein, die das Hotel zu bieten hat, und entdecke eine Tüte mit Zeitungen, die vor der Tür unserer Suite hegt. Ich bestelle gegen Mittag Frühstück, welches uns von einer vier Mann starken Truppe geliefert wird. Es ist ein delikates Frühstück, ich schaffe es nicht einmal annähernd, alles aufzuessen. Aber dafür haben wir ja Benno dabei, der die Portionen etwas kläglich findet, aber: «Wat will’se machen, kann'se nix machen.»
Pino ruft an und bedankt sich für den Gruß aus dem Fernseher. Er wünscht uns eine schöne Reise. Er hat keinen Dienst heute und wird daher nicht zum Flughafen fahren. Sonst wür-de er uns persönlich verabschieden. Ich packe meinen Koffer und trinke Espresso. So langsam heißt es Abschied nehmen von New York, das heute unter einer grauen kalten Wolken-decke liegt, als wollte es uns den Tag vermiesen. New York benimmt sich wie ein Gastgeber, der nach vier Tagen aufhört, Getränke anzubieten, weil ihm der Besuch langsam auf den Keks geht. New York sagt uns mit diesem Wetter: «Schön, dass ihr da wart, nu’ könnt ihr auch mal wieder nach Hause fahren. Schöne Grüße und auf wiedersehen.»
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Ich schlendere in unserem Schloss auf und ab und gehe unseren Zeitplan durch. Benno kommt ins Wohnzimmer und fragt, ob er ein paar Kleinigkeiten in meinen Koffer legen darf, seiner sei jetzt voll. Ich habe nichts dagegen, und Benno («Supper, danke.») verschwindet wieder. Antonio hat sich auf seiner Solotour vorgestern zwei Trolleys gekauft, für die zahlreichen Mitbringsel. Wir stellen unsere Koffer an die Tür und fahren nach unten, um auszuchecken. Das ist ein sehr angenehmer Vorgang, wenn man nichts bezahlen muss. Ich wür-de ja gerne die Vase übernehmen, aber ich traue mich nicht, das Thema anzusprechen. Da auch die Managerin nichts sagt, gehe ich einfach mal davon aus, dass die Vase aufs Haus geht.
Sehr großzügig.
Benno hat seine Pflanze und seinen Rauchverzehrer nicht dabei. Ich frage ihn, wo die sind, und er sagt: «Im Koffer, wo dann sons’.»
«Aber nicht in meinem, hoffe ich.»
«Nää, ah wat! Die hannisch bei mir einjepackt.»
Vermutlich werden seine Kleinodien die Reise nicht über-stehen, aber ich halte mich da raus. Wir bitten darum, das Gepäck für eine Weile im Hotel lassen zu können, und treten noch einmal ins Freie, wo uns die kalte graue Luft Fal-ten ins Gesicht schnitzt. Ich habe einen letzten Wanderweg zu absolvieren. Dazu müssen wir zunächst mit der U-Bahn fahren, denn ich möchte die Upper East Side sehen und von dort wieder zum Hotel wandern. Ausgerechnet jetzt, ganz am Schluss, passiert mir noch ein dummer Anfängerfehler: Die New Yorker Subway verfügt nämlich über drei Sorten von Zü-
gen: Bahnen, die überall halten, und Bahnen, die nur manchmal überall halten, sowie Bahnen, die fast nie halten. Wenn man so einen gespenstischen Zug erwischt, saust man durch die Haltestelle, an der man eigentlich aussteigen wollte. Man 237
denkt an ein Versehen des Lokführers oder daran, dass er
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