Jan Weiler Antonio im Wunderland
irgendwelche Dinge. Sie zeigen einfach auf die Klimaanlage, die Küche oder den Flügel und sagen: «Einpacken, bitte. Danke.» Ich beschließe, erst den Champagner zu öffnen und dann den Brief. Als ich mit der Flasche, drei Glä-
sern und dem Umschlag wieder ins Wohnzimmer komme, sitzen Antonio und Benno immer noch da wie zwei Denkmä-
ler des unbekannten Touristen.
«Jungs, kommt, wir feiern!», rufe ich und lasse den Korken 226
an die Decke springen. Benno wird von dem Knall munter und stellt seine Devotionalien auf den Couchtisch. Antonio ver-harrt in seiner Starre, bis ich ihm ein volles Glas unter die Nase halte. Er nimmt es und trinkt es in einem Zug. Dann macht er
«Ahhh» und zieht seine Schuhe aus, Zeichen seines Gefühls, angekommen zu sein. Macht er zu Hause auch immer.
Ich öffne den Brief und übersetze ihn laut: «Liebe Freunde, leider kann ich nicht bleiben. Es war mir eine Ehre, euch kennen zu lernen. Franklin fahrt euch überallhin, wo ihr wollt.
Verständigt ihn auf jeden Fall von eurer Abreise, er wird euch zum Flughafen bringen. Ich hoffe, euch irgendwann einmal wiederzusehen. Anbei die Karten für die Knicks. Vertretet mich würdevoll. Euer ergebener Robert. »
Die drei Tickets liegen im Umschlag.
«Und jetzt?», rufe ich. Ich habe keine zündende Idee, was man nun mit den 413 Quadratmetern dieser Suite anfangen könnte.
«Wir rufene der Pino an und machen ein kleine Einladung», schlägt Antonio vor.
Klaro, denke ich, jetzt machst du hier einen auf Graf Koks.
Andererseits hat er Recht. Wir könnten hier einen schönen Nachmittag mit den Carbones verbringen und abends zum Spiel gehen. Das wäre ein würdiger Abschluss unserer Reise.
Und außerdem: Es ist Antonios Reise. Ohne ihn wären wir nicht in dieser Funkelbude gelandet. Also soll er ruhig bestimmen. Ich krame die Telefonnummer der Carbones aus meiner Hosentasche, und Antonio ruft seinen Kumpel in Queens an.
Ich höre nur Bruchteile des Gesprächs, welches knapp zwanzig Minuten dauert. Antonio spricht in seinem Schlafzimmer, sitzt dabei auf einem überdimensionalen Bett. Seine Füße baumeln in der Luft. Als er sein Telefonat beendet hat, teilt er uns mit, dass die Carbones sehr gerne kommen und eine 227
Kleinigkeit mitbringen. Wir hätten noch zwei Stunden Zeit, bis sie da seien. Ich beschließe, ein Bad zu nehmen, und ver-ziehe mich mit dem Champagner.
Benno und Antonio schalten den Riesenfernseher ein und sehen sich eine Sendung an, in der Polizisten hinter jugend-lichen Verbrechern herjagen und eine halbe Frau aus dem Schlund eines Alligators zerren. Alles keine Tricks, das passiert hier jeden Tag. Und immer ist eine Kamera dabei. Ich lasse mir ein Bad einlaufen und rufe zu Hause an. In der Wanne liegend kann ich auf die Fifth Avenue sehen. Es ist phantastisch, dieses Gotham. Sara ist dran.
«Schön, dass du dich mal meldest. Wir haben schon gedacht, ihr seid verschollen. Geht es euch gut?», will sie wissen.
«Uns geht’s hervorragend. Wir wohnen in der Suite von Robert De Niro.»
«Ja, klar. Bennos Mutter hat angerufen und gefragt, wie lange sie noch im Heim bleiben muss. Ich habe ihr gesagt, dass ihr morgen zurückfliegt.»
«Soll ich ihm was ausrichten?»
«Er soll seine Pillen nehmen. Ich vermisse dich.»
Wir sprechen kurz über zu Hause. Jürgen diktiert Ursula die ganze Zeit Rezepte. Es gibt seit einer Woche Tofu und So-jakrempel mit Grünkern und Dinkel und undurchsichtigen Gemüsesäften. Er hält Ursula und Sara lange Vorträge über seine Ernährungsprinzipien und darüber, dass er mit seinen Krankenkassenbeiträgen ihre Lebensweise finanzieren müs-se, was ihm ein Gräuel sei. Lorella hat im Wohnzimmer ein Windspiel mit langen Metallrohren aufgehängt, an dem sich alle ständig den Kopfstoßen. Dafür macht es dann aber auch ein sehr beruhigendes Geräusch. Zu Hause ist also alles in Ordnung.
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«Und was habt ihr die ganze Zeit gemacht?», will sie dann wissen. Was soll ich daraufsagen: «Wir haben einen Gärtner gesucht, sind ein paar Mal verhaftet worden, haben uns in einem Restaurant geprügelt und einen Dinosaurier kaputt-gemacht», antworte ich wahrheitsgemäß.
«Aha, sicher. Na ja, du kannst mir ja alles erzählen, wenn du wieder da bist.»
Die Beschreibung der Aussicht aus meiner Badewanne kommentiert sie nicht groß. Wir verabschieden uns, und nachdem ich aufgelegt habe, lasse ich mich ins warme Wasser rutschen.
Nach einer guten Stunde in der Badewanne fühle ich mich wie Jennifer
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