Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
aus, als ob ihr Glück jetzt vollkommen wäre. Ich wandte das Gesicht ab, um ein Lächeln zu verbergen, das ich nicht unterdrücken konnte. Es lag etwas Komisches und zugleich auch Trauriges in dem Ernst und der Hingabe, mit welcher die kleine Pariserin die Angelegenheit ihrer Toilette behandelte.
Jetzt vernahm man das Geräusch rückender Stühle, der Vorhang vor dem Türbogen wurde zurückgezogen, und das Innere des Speisesaals wurde sichtbar. Der Kronleuchter sandte sein Licht auf eine Tafel herab, auf welcher schweres, prächtiges Silbergeschirr und funkelndes Kristall in malerischer Unordnung durcheinanderstanden. Unter der Wölbung des Torbogens stand eine Gesellschaft von Damen, sie traten ein, und der Vorhang fiel hinter ihnen wieder zu.
Es waren eigentlich nur acht; als sie jedoch ins Zimmer rauschten, schien es, als wären sie eine weit größere Anzahl. Einige von ihnen waren sehr groß, viele trugen weiße Kleider, und alle waren von einem Faltenreichtum umgeben, der ihre Gestalten zu vergrößern schien, wie ein Nebelhof den Mond vergrößert. Ich erhob mich und verneigte mich vor ihnen; eine oder zwei nickten als Erwiderung mit dem Kopf; die andern starrten mich nur an.
Sie zerstreuten sich im Zimmer; in der Leichtigkeit und Lebhaftigkeit ihrer Bewegungen erinnerten sie mich an einen großen Schwarm weißer Vögel. Einige legten sichhalb auf die Sofas und Ottomanen, andere beugten sich über die Tische und besahen die Blumen und Bücher, die Übrigen sammelten sich in einer Gruppe um den Kamin. Alle sprachen in einem leisen, klaren Ton, der ihnen eigen zu sein schien. Später erfuhr ich ihre Namen, die ich aber ebenso gut schon an dieser Stelle nennen kann:
Vor allen Dingen war also Mrs. Eshton mit ihren beiden Töchtern da. Augenscheinlich war sie einst eine sehr schöne Frau gewesen, und eigentlich war sie es immer noch. Von ihren Töchtern war die älteste, Amy, ziemlich klein, naiv und kindlich in Gesicht und Manieren, mit einer reizenden Figur. Ihr weißes Musselinkleid und die blaue Schärpe kleideten sie vorzüglich. Die zweite, Louisa, war größer und von eleganterer Erscheinung, mit einem sehr hübschen Gesicht von jenem Typus, den die Franzosen
minois chiffonné
nennen. Beide Schwestern waren weiß wie die Lilien.
Lady Lynn war eine große und stattliche Person von ungefähr vierzig Jahren, sehr gerade, sehr hochmütig aussehend und prächtig gekleidet in eine Satinrobe von changierender Farbe. Ihr dunkles, mit einem Diamantreif geschmücktes Haar glänzte unter einer azurblauen Feder.
Mrs. Colonel Dent war weniger auffallend, aber sie schien mir mehr
ladylike
. Sie war von schlanker Gestalt, hatte ein bleiches, sanftes Gesicht und blondes Haar. Ihr schwarzes Satinkleid, ihre Schärpe von ausländischer Spitze und ihr Perlenschmuck gefielen mir besser als die regenbogenartige Pracht der adligen Dame.
Aber die drei distinguiertesten Damen – ein wenig vielleicht auch, weil sie die größten in der Gesellschaft waren – schienen die verwitwete Lady Ingram und ihre beiden Töchter Blanche und Mary zu sein. Es waren die drei eindrucksvollsten Frauengestalten, die ich jemals gesehen hatte. Die Mutter mochte zwischen vierzig und fünfzig sein; ihr Haar war – bei Kerzenlicht wenigstens – noch immer schwarz; auch ihre Zähne waren scheinbar ganz fehlerlos.Die meisten Leute würden sie noch immer eine schöne Frau für ihr Alter genannt haben, und das war sie ohne Zweifel auch, wenn man nur von ihrem Äußeren sprach. Aber in ihrer Haltung und ihrem Gesichtsausdruck lag etwas unerträglich Hochmütiges. Sie hatte römische Gesichtszüge und ein Doppelkinn, das in einem säulengleichen Hals verschwand. Ihre Züge schienen mir getrübt, ja geschwollen und durchfurcht von Dünkel. Nach diesem Prinzip schien sie auch ihr Kinn zu halten, und zwar in einer Lage, die beinahe unnatürlich aufrecht erschien. Sie hatte harte und trotzige Augen, welche mich an diejenigen Mrs. Reeds erinnerten. Sie verzog den Mund beim Sprechen, ihre Stimme war tief, ihre Rede geschwollen und rechthaberisch – kurzum: ganz unerträglich. Eine feuerrote Samtrobe und ein Turban, der aus einem golddurchwirkten indischen Schal gewunden war, bekleidete sie – wie sie selbst vermutlich glaubte – mit einer wahrhaft königlichen Würde.
Blanche und Mary hatten dieselbe Figur – schlank und gerade wie Pappeln. Mary war zu mager für ihre Höhe, aber Blanche war gewachsen wie eine Diana. Ich betrachtete sie natürlich
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