Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
Distrikts, ist sehr
gentlemanlike
; sein Haar ist ganz weiß, seine Augenbrauen und der Bart aber sind noch dunkel, was ihm das Aussehen eines
père noble
vom Theatergibt. Lord Ingram ist groß wie seine Schwestern, wie sie ist er ebenfalls schön, aber er hat den apathischen, leblosen Blick Marys. Er scheint mehr körperliche Größe als Lebhaftigkeit und Verstand zu besitzen.
Und wo ist Mr. Rochester?
Endlich tritt auch er ein. Ich blicke nicht nach dem Türbogen hin, aber ich sehe ihn eintreten. Ich versuche, mich auf meine Stricknadeln zu konzentrieren, auf die Maschen der Börse, die ich stricke. Ich will nur an die Arbeit denken, die ich in den Händen habe, nur auf die Silberperlen und Seidenfäden sehen, die auf meinem Schoß liegen – aber als ich seine Gestalt so deutlich sehe, kehrt unwillkürlich der Augenblick in mein Gedächtnis zurück, in dem ich ihn zuletzt sah: gleich, nachdem ich ihm einen Dienst erwiesen, den er bedeutsam genannt hatte, dabei meine Hand haltend und mir ins Gesicht blickend; mich musternd mit Augen, die ein zum Überfließen gefülltes Herz verrieten. Und ich hatte an dieser Erregung Anteil, wie nahe war ich ihm in jenem Augenblick gewesen! Was war inzwischen geschehen, das unsere gegenseitige Stellung ändern konnte? Und jetzt, wie fremd, wie fern waren wir einander. So fremd, dass ich nicht einmal mehr erwartete, dass er zu mir kommen und mit mir sprechen würde. Ich wunderte mich also nicht, dass er, ohne mich anzusehen, am anderen Ende des Zimmers einen Stuhl nahm und mit einigen Damen ein Gespräch begann.
Kaum hatte ich festgestellt, dass seine Aufmerksamkeit abgelenkt war und ich ihn ansehen konnte, ohne dass es bemerkt wurde, wurden meine Augen von seinem Gesicht angezogen. Ich konnte die Lider einfach nicht unter Kontrolle halten, sie hoben sich von allein, und die Iris richtete sich auf ihn. Ich blickte ihn an und fand eine innige Freude an diesem Anblick – eine köstliche, aber schmerzliche Freude; pures Gold mit einem tödlichen Kern von Stahl – eine Freude, wie sie ein verdurstender Mensch empfinden mag,der da weiß, dass der Brunnen, zu welchem er gekrochen ist, vergiftet ist. Und der doch sich niederbeugt und trinkt.
Wie wahr ist es, dass die Schönheit im Auge des Betrachters liegt. Das blasse, ins Oliv spielende Gesicht meines Gebieters, seine eckige, massive Stirn, seine breiten, rabenschwarzen Augenbrauen, seine dunklen Augen, die starken Züge, sein fester, strenger Mund – alles Energie, Entschlossenheit und Willen. Dies alles war nicht schön nach den Regeln der Schönheit, aber für mich war es mehr als schön. Seine Züge besaßen eine Faszination für mich, einen Einfluss, der mich gänzlich übermannt hatte, der meine Gefühle meiner eigenen Macht entwand und sie der seinen unterordnete. Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu lieben; der Leser weiß, dass ich alles versucht hatte, die Keime dieser Liebe aus meiner Seele zu reißen, sobald ich sie entdeckt hatte. Aber jetzt, wo ich ihn zum ersten Mal wiedersah, da lebten sie sofort frisch und stark wieder auf. Ohne dass er mich ansah, machte er, dass ich ihn lieben musste.
Ich verglich ihn mit seinen Gästen. Was war der galante Charme der Lynns, die lässige Eleganz Lord Ingrams oder sogar die militärische Vornehmheit von Colonel Dent im Vergleich zu der inneren Kraft und angeborenen Stärke, welche aus seinen Blicken sprach? Für die Erscheinungen und die Ausstrahlung der Gäste konnte ich nichts empfinden; und doch war anzunehmen, dass die meisten Betrachter sie als anziehend, schön und eindrucksvoll, Mr. Rochester hingegen als schroff und melancholisch bezeichnen würden. Ich sah sie lächeln, lachen – es war nichts; das Licht der Kerzen hatte mehr Seele in sich, als ihr Lächeln, das Klingen der Schellen ebenso viel Bedeutung wie ihr Lachen. Ich sah Mr. Rochester lächeln – und seine harten Züge wurden weich, seine Augen wurden glänzend und sanft und ihr Leuchten drang mir bis ins Herz. In diesem Augenblick sprach er mit Louisa und Amy Eshton. Es setzte mich in Erstaunen zu sehen, mit welcher Ruhe sie seinen Blick auffingen,der mir so durchdringend erschien; ich erwartete, dass ihre Augen sich senken würden, dass sie erröteten. Und doch war ich glücklich, als ich sah, dass sie in keiner Weise bewegt waren. ›Er ist für sie nicht, was er für mich ist‹, dachte ich, ›er ist nicht ihresgleichen. Ich glaube, er ist von meiner Art – ich bin dessen gewiss, ich fühle mich ihm
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