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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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abzuringen. Und dies war der Punkt, dies war es, wo der Nerv berührt wurde und schmerzte, dies war es, was das Fieber nährte und steigerte:
Sie konnte ihn nicht dazu bringen, sie zu lieben
.
    Wenn sie den Sieg mit einem Schlage errungen hätte, wenn er sich ergeben und ihr sein Herz zu Füßen gelegt hätte, so würde ich mein Antlitz bedeckt und der Wand zugewendet haben, um – im übertragenen Sinne – für sie beide zu sterben. Wenn Miss Ingram eine gute und edle Frau gewesen wäre, mit Kraft, Leidenschaft, Zärtlichkeit und Verstand begabt, so hätte ich nur einen entscheidenden Kampf mit den zwei Ungeheuern Eifersucht und Verzweiflung zu bestehen gehabt. Ich hätte mir das Herz aus der Brust gerissen, um es zu zertreten. Und dann hätte ich sie bewundert, angebetet, ich hätte ihre Überlegenheit anerkannt und wäre für den Rest meiner Tage in Frieden mit mir gewesen – und je absoluter ihre Überlegenheit wäre, desto tiefer wäre meine Bewunderung gewesen, desto ruhiger meine Ergebenheit. Aber wie die Dinge jetzt lagen: die Anstrengungen zu sehen, welche Miss Ingram machte, um Mr. Rochester zu fesseln – und auch das Misslingen dieser Anstrengungen zu gewahren; zu sehen, wie sie in der Einbildung lebte, dass jeder Pfeil ins Schwarze traf, und wie sie sich mit ihren eingebildeten Erfolgen brüstete, während ihr Hochmut und ihre Selbstgefälligkeit das Ziel nur weiter von ihr entfernten, welches sie anzulocken wünschte; Zeuge von all
diesem
zu sein, hieß, in einer fortwährenden Erregung, unter einem erbarmungslosen Zwang zu leben.
    Denn ich sah, wie sie den Sieg hätte erringen können, während sie eine Niederlage erlitt. Pfeile, welche fortwährend von Mr. Rochesters Brust abprallten und wirkungslos zu seinen Füßen niederfielen, würden sein stolzes Herz getroffen und schwer verwundet haben, wenn eine sichere Hand sie abgeschossen hätte, das wusste ich. Sie hätten die Liebe in seinen kalten Augen leuchten lassen und seinsarkastisches Gesicht sanft gemacht. Oder besser: Ohne Waffen wäre ein stiller Sieg errungen worden.
    ›Weshalb kann sie nicht mehr Einfluss über ihn gewinnen, wenn sie doch dazu bestimmt ist, ihm einmal so nahe zu stehen?‹, fragte ich mich. ›Gewiss, sie kann ihn nicht wahrhaft lieben, jedenfalls nicht mit einer echten, reinen Liebe lieben! Denn wenn dies der Fall wäre, so brauchte sie nicht so überschwänglich zu lachen, müsste ihm nicht unaufhörlich Blicke zuwerfen und sich so künstlich gebärden. Mir scheint, als könnte sie seinem Herzen näher rücken, wenn sie einfach ruhig an seiner Seite weilen würde, weniger spräche und weniger kühn blickte.
Ich
habe in seinem Antlitz einen Ausdruck gesehen, der sehr verschieden war von der harten, versteinerten Miene, die er jetzt gar oft annimmt, wenn sie so eindringlich und lebhaft zu ihm spricht – jener Ausdruck kam von innen heraus, er war nicht künstlich hervorgezaubert durch verführerische Lockungen und berechnete Manöver. Man brauchte ihn nur hinzunehmen, ihm ohne Prätention zu antworten, wenn er fragte, ihn ohne Grimassen anzureden, wenn es nötig war, und jener Ausdruck wurde freundlicher und liebevoller und erwärmte einen wie ein Sonnenstrahl. Wie wird es ihr denn gelingen, ihm zu gefallen, wenn sie erst verheiratet sind? O nein, es wird ihnen nicht gelingen, dessen bin ich sicher. Aber es
kann
gelingen, und wahrhaftig, ich glaube, seine Gattin könnte die glücklichste Frau unter der Sonne sein.‹
    Bis jetzt habe ich noch kein verdammendes Urteil über Mr. Rochesters Plan gefällt, um der Familienverbindungen und anderer materieller Interessen willen eine Heirat zu schließen. Ich war natürlich erstaunt, als ich seine Absicht entdeckte: hatte ich ihn doch für einen Mann gehalten, bei dem es nicht wahrscheinlich war, dass er sich bei der Wahl einer Gattin von so gewöhnlichen Motiven würde leiten lassen. Aber je länger ich die Stellung und die Erziehung beider in Betracht zog, desto weniger fühlte ich mich berechtigt,ihn oder Miss Ingram zu beurteilen oder zu verdammen, weil sie in Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Ideen handelten, welche ihnen ohne Zweifel seit ihrer Kindheit eingepflanzt waren. Die ganze Gesellschaftsklasse, zu welcher sie gehörten, huldigte diesen Grundsätzen, folglich mussten sie auch eine Begründung für dieselben haben, wenn ich sie auch nicht ergründen konnte. Wäre ich ein Mann wie er, würde ich nur eine Frau an mein Herz ziehen, die ich auch lieben könnte.

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