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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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kleinen, müden, wandernden Füße auf der Schwelle eines Freundes ausruhen.«
    Jetzt blieb mir nichts übrig, als ihm schweigend zu gehorchen; es gab keine Veranlassung zu weiterem Zwiegespräch. Schweigend stieg ich über den Zaun und dachte, ihn ohne ein weiteres Wort zu verlassen. Ein Impuls hielt mich jedoch zurück, eine Macht hieß mich umwenden. Ich sagte – oder irgendetwas in mir sagte ohne mein Zutun:
    »Danke, Mr. Rochester, für Ihre große Güte. Es machtmich so seltsam froh, wieder hier und bei Ihnen zu sein; und wo Sie sind, ist mein Heim – mein einziges Heim.«
    Und dann ging ich so schnell davon, dass selbst er, wenn er gewollt hätte, mich nicht hätte einholen können. Die kleine Adèle war halb närrisch vor Freude, als sie meiner ansichtig wurde. Mrs. Fairfax empfing mich mit ihrer gewohnten, einfachen Herzlichkeit. Leah lächelte, und sogar Sophie sagte mir freundlich »bon soir«. Dies alles war so angenehm. Es gibt kein größeres Glück als das, von seinen Mitmenschen geliebt zu werden und zu fühlen, dass die eigene Nähe ihnen Freude und Wohlbehagen bereitet.
    An diesem Abend war ich entschlossen, meine Augen vor der Zukunft zu verschließen. Ich wollte nicht auf die mahnende Stimme hören, die mich vor der nahenden Trennung und dem künftigen Kummer warnte. Als die Teestunde vorüber war und Mrs. Fairfax ihr Strickzeug genommen hatte, hatte ich mich auf einen niedrigen Sessel ihr zur Seite gesetzt, und Adèle, welche auf dem Teppich kniete, schmiegte sich dicht an mich. Ein Bewusstsein gegenseitiger Liebe schien uns wie mit einem goldenen Ring zu umschließen, und ich sandte ein stilles Gebet zum Himmel, dass unsere Trennung nicht zu nahe bevorstehen möge. Als wir noch so saßen, trat unangekündigt Mr. Rochester ein. Er blickte uns an und schien Freude an dieser glücklichen Gruppe zu finden. Dann sagte er, die alte Dame fühle sich jetzt, wo sie ihre Adoptivtochter wiederhabe, hoffentlich ganz glücklich, und er fügte hinzu, Adèle sei anscheinend »prête à croquer sa petite maman anglaise«. Da bemächtigte sich meiner der Wunsch, dass er uns auch noch nach seiner Heirat irgendwo unter seinem Schutze möchte beisammen sein lassen und uns nicht ganz aus dem Sonnenschein seiner Gegenwart verbannen.
    Vierzehn Tage zweifelhafter Ruhe verflossen nach meiner Rückkehr von Gateshead. Von der Heirat unseres Herrn wurde nicht gesprochen, und ich gewahrte auch keineVorbereitungen, die auf ein so nahe bevorstehendes Ereignis hätten schließen lassen können. Fast täglich fragte ich Mrs. Fairfax, ob sie irgendetwas Bestimmtes gehört habe, und immer lautete ihre Antwort verneinend. Einmal sagte sie, dass sie Mr. Rochester direkt gefragt habe, wann er seine junge Frau nach Hause zu bringen gedenke; er hatte ihr aber nur mit einem Scherz und einem seiner seltsamen Blicke geantwortet, und jetzt sei sie ebenso klug wie zuvor.
    Was mich aber ganz besonders in Erstaunen setzte, war, dass es kein Hin- und Herreisen gab, keine Besuche in und aus Ingram Park. Zwar lag diese Besitzung zwanzig Meilen entfernt, auf der Grenze einer andern Grafschaft, aber was bedeutete diese Entfernung für einen begeisterten Liebhaber? Für einen so geübten und unermüdlichen Reiter wie Mr. Rochester war dieser Weg doch nur ein Morgenritt. Ich begann Hoffnungen zu hegen, zu denen mich nichts berechtigte, ich hoffte, dass die Verbindung abgebrochen, dass das ganze Gerücht ein falsches gewesen sei, dass einer oder gar beide anderen Sinnes geworden wären. Ich pflegte das Gesicht meines Herrn zu prüfen, ob es trotzig oder traurig wäre, aber ich konnte mich an keine Zeit entsinnen, zu der es so ungetrübt klar und ruhig gewesen war wie gerade jetzt. Wenn ich in den Momenten, wo ich und meine Schülerin mit ihm zusammen waren, verstummte und in eine nicht zu bekämpfende Traurigkeit versank, konnte er sogar laut und fröhlich werden. Niemals hatte er so oft und andauernd meine Gesellschaft verlangt; niemals war er gütiger und liebevoller gewesen – ach, und niemals hatte ich ihn inniger geliebt!

Dreiundzwanzigstes Kapitel
     
    Eine herrliche Mittsommerzeit war über England gekommen. Selten nur wird unser wogenumspültes Land mit einem so klaren Himmel und einem so strahlenden Sonnenscheinbeglückt, wie wir sie jetzt ununterbrochen hatten. Es war, als ob eine Menge von italienischen Tagen wie eine Schar prächtiger Zugvögel vom Süden heraufgekommen wäre und sich, um auszuruhen, auf den Felsen Albions

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