Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
waren, die mir sagte – allerdings mit jener Vorsicht und Fürsorglichkeit und Demut, welche Ihrer verantwortungsvollen und abhängigen Stellung zukommen –, dass Sie und die kleine Adèle für den Fall, dass ich Miss Ingram heiraten sollte, am liebsten fortgehen würden. Ich will nicht von der Beleidigung reden, welche in diesem Begehren für die Angebetete meines Herzens liegt; wirklich, Jane, wenn Sie weit fort sein werden, will ich sogar versuchen, diese Beleidigung zu vergessen. Ich will nur an die weise Fürsorge denken, welche darin lag. Diese war so groß, dass ich sie sogar zur Richtschnur meiner Handlungsweise machen will. Adèle muss in eine Schule geschickt werden, und Sie, Miss Eyre, müssen eine neue Stellung haben.«
»Ja, Sir, ich will sofort eine Annonce in die Zeitungen rücken lassen. Bis dahin aber nehme ich an …«, ich wollte sagen, ›nehme ich an, dass ich hierbleiben darf, bis ich eine andere Unterkunft gefunden habe‹, aber ich hielt inne, weil ich fühlte, dass ich mich nicht an einen so langen Satz wagen sollte, da ich meine Stimme in diesem Augenblick nicht ganz in der Gewalt hatte.
»In ungefähr einem Monat hoffe ich, Hochzeit zu halten«, fuhr Mr. Rochester fort, »und in der Zwischenzeit werde ich selbst nach einer Stellung und einem Asyl für Sie Ausschau halten.«
»Danke, Sir, es tut mir leid, dass ich Ihnen so viel Mühe verursache.«
»Oh, Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen! Ich bin der Ansicht, dass eine Untergebene, welche ihre Pflicht so treu erfüllt hat, wie Sie, das Recht hat, von ihrem Brotherrn jede kleine Unterstützung und Hilfe zu verlangen, welche er ihr ohne große Mühe leisten kann. Ich habe sogar schon durch meine künftige Schwiegermutter von einer Stellung gehört, die Ihnen möglicherweise passen könnte: Es handelt sich darum, die Erziehung der fünf Töchter einer gewissen Mrs. Dionysius O’Gall auf Bitternut Lodge in derGrafschaft Connaught in Irland zu übernehmen. Irland wird Ihnen gefallen, glaube ich. Man sagte mir, dass die Menschen dort so warmherzig und gütig wären.«
»Das ist ein sehr weiter Weg, Sir.«
»Das schadet nichts – ein so vernünftiges Mädchen wie Sie wird sich doch nicht an einer langen Reise oder der Entfernung stoßen, nicht wahr?«
»Nicht an der Reise, aber an der Entfernung. Und dann ist das Meer doch immerhin auch eine Barriere …«
»Wovor, Jane?«
»Vor England, Thornfield und …«
»Nun?«
»Und
Ihnen
, Sir.«
Diese Worte entschlüpften mir fast unwillkürlich, und ohne dass ich etwas dagegen zu tun vermochte, stürzten mir die Tränen aus den Augen. Indessen weinte ich nicht so laut, dass man mich hätte hören können, ich enthielt mich wenigstens des Schluchzens. Der Gedanke an Mrs. O’Gall und Bitternut Lodge ließ mir fast das Herz erstarren; und noch erstarrender wirkte der Gedanke an all die Wogen und den Wellenschaum, die, wie es schien, bestimmt waren, zwischen mir und dem Mann, an dessen Seite ich jetzt wandelte, zu rauschen. Am tödlichsten aber war der Gedanke an jenes größere, tiefere, unschiffbare Meer von Reichtum, Stellung und Tradition, das mich von dem trennte, den ich unwiderstehlich, ewig lieben musste.
»Es ist so weit von hier«, sagte ich noch einmal.
»Gewiss ist es das, und wenn Sie einmal in Bitternut Lodge, Grafschaft Connaught in Irland sind, dann werde ich Sie niemals wiedersehen, Jane, das ist unumstößlich gewiss. Denn ich gehe niemals nach Irland hinüber, ich habe keine Sympathien für dieses Land. Aber nicht wahr, Jane, wir sind immer gute Freunde gewesen?«
»Ja, Sir.«
»Und wenn gute Freunde am Vorabend einer Trennungstehen, dann sind sie glücklich, wenn sie die kurze Zeit, die ihnen noch bleibt, Seite an Seite verleben können. Kommen Sie – lassen Sie uns für eine Stunde oder länger ruhig über die Trennung und die Reise sprechen, und betrachten wir dabei die Sterne, wie sie still einer nach dem anderen am Himmel aufgehen. Hier auf dieser Bank unter dem alten, ehrwürdigen Kastanienbaum: Lassen wir uns heute Abend in Frieden nieder, vielleicht hat das Schicksal beschlossen, dass wir niemals wieder hier sitzen.«
Er drückte mich auf die Bank nieder und setzte sich dann neben mich.
»Der Weg nach Irland ist sehr weit, Jane, und es wird mir schwer, meine kleine Freundin auf eine so lange, mühevolle Reise zu schicken. Wenn es aber nicht in meiner Macht liegt, etwas Besseres zu tun – was dann? Glauben Sie, dass Sie mir seelenverwandt sind,
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