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Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)

Titel: Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Brontë
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vornehme Gesellschaft, welche bei meiner Abreise noch im Herrenhaus versammelt war, nach allen Seiten zerstreut hatte. Mr. Rochester war vor drei Wochen nach London gereist, wurde aber während der nächsten vierzehn Tage von dort zurückerwartet. Mrs. Fairfax vermutete, dass er hingereist sei, um Vorbereitungen für seine Hochzeit zu treffen, da er davon gesprochen habe, eine neue Kutsche zu kaufen. Sie äußerte auch, es erscheine ihr zwar noch immer seltsam, dass er Miss Ingram heiraten wolle; aber nach allem, was alle Welt sagte und nach dem, was sie mit eigenen Augen gesehen habe, könne wohl kein Zweifel mehr daran bestehen, dass die Sache nahe bevorstand. ›Sie wären aber auch seltsam ungläubig, wenn Sie noch daran zweifelten‹, antwortete ich ihr im Geiste, ›ich meinesteils zweifle nicht einen Augenblick.‹
    Und nun folgte die Frage: Wohin soll ich dann gehen? Während der ganzen Nacht träumte mir von Miss Ingram; ein lebhafter Morgentraum zeigte sie mir, wie sie die Tore von Thornfield vor mir schloss und mich auf die Straße wies. Mr. Rochester stand ruhig mit verschränkten Armen daneben und ließ sie gewähren. Wie es schien, lächelte er sarkastisch – sowohl über sie wie über mich.
    Ich hatte Mrs. Fairfax den genauen Tag meiner Ankunft nicht mitgeteilt, denn ich wünschte nicht, dass man mir irgendeine Kutsche nach Millcote entgegenschickte. Ich hatte mir vorgenommen, die Strecke still für mich zu gehen, und nachdem ich meinen Koffer dem Hausknecht anvertraut hatte, machte ich mich unbemerkt aus dem »George Inn« davon und schlug an einem Juniabend gegen sechs Uhr die alte Straße nach Thornfield ein – einen Weg, der hauptsächlich durch Felder führte und wenig benutzt wurde.
    Es war kein strahlender oder prächtiger Sommerabend, aber er war angenehm und mild. Entlang der Straße wurde Heu gemacht und der Himmel, wenn auch nicht wolkenlos, versprach gutes Wetter für die kommenden Tage. Sein Blau war – wo es sichtbar war – milde, und die Wolken zogen hoch und durchsichtig dahin. Auch der Westwind war warm; kein wässeriges Flimmern störte das Bild, es war, als sei ein Feuer angezündet, als brenne ein Altar hinter jenem dunstigen Vorhang, und wo dieser hier und da zerrissen war, schien eine goldene Röte hervor.
    Ich fühlte mich froh, als die Straße vor mir immer kürzer wurde, so froh, dass ich einmal stehenblieb, um mich erstaunt zu fragen, was jene Empfindung des Glücks bedeute, und meine Vernunft daran zu erinnern, dass ich nicht in mein eigenes Heim, an einen dauerhaften Ruheplatz oder an einen Ort zurückkehre, wo treue, zärtliche Freunde meiner harrten und meine Ankunft herbeisehnten. ›Mrs. Fairfax wird jedoch ein freundliches Lächeln des Willkommens für dich haben‹, sagte ich mir, ›und die kleine Adèle wird in die Hände klatschen und vor Freude springen, wenn sie dich sieht. Aber du weißt sehr wohl, dass du an jemand anderen als diese denkst – und dass jener nicht an dich denkt.‹
    Aber was ist so eigensinnig wie die Jugend, was so blind wie Unerfahrenheit? Diese beiden behaupteten, dass es schon Glück genug wäre, Mr. Rochester noch einmal anzublicken, ob er mich nun ansähe oder nicht, und sie fügten hinzu: ›Eile, eile! Bleib bei ihm, so lange du darfst; nur noch wenige Tage oder höchstens Wochen, und du bist für immer von ihm getrennt!‹ Und dann erstickte ich eine neu aufbrechende Qual – ein verformtes Etwas, das ich nicht anerkennen, mir nicht zu eigen machen durfte – und lief weiter.
    Auch auf den Wiesen von Thornfield sind die Leute mit dem Heu machen beschäftigt, oder besser: Zur Stunde meiner Ankunft haben die Arbeiter gerade ihr Tagewerk beendet und gehen mit den Harken auf den Schultern nachHause. Ich muss nur noch zwei Felder überqueren und dann die Landstraße kreuzen, dann bin ich am Tor. Wie üppig die Rosen an den Hecken blühen! Aber ich habe keine Zeit, sie zu pflücken; ich will nur nach Hause! Ich komme an einem hohen Dornenstrauch vorüber, dessen dicht belaubte, blühende Zweige über den Weg wuchern. Ich sehe den engen Zaunübertritt mit den steinernen Stufen, und ich erblicke – Mr. Rochester, welcher dort sitzt. In der Hand hält er ein Buch und einen Bleistift. Er schreibt.
    Nun, er ist kein Geist, und doch beben alle meine Nerven. Für einen Augenblick habe ich alle Herrschaft über mich selbst verloren. Was bedeutet dies? Ich hätte nicht gedacht, dass ich bei seinem Anblick so zittern, meine Stimme verlieren oder

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