Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
Tölpel. Eines Abends, als Céline mich nicht erwartete, kam ich zufällig, um ihr einen Besuch zu machen, und fand sie nicht zu Hause. Es war ein heißer Abend, und da ich des Umherschlenderns in Paris müde war, setzte ich mich in ihr Boudoir, glücklich, die Luft einatmen zu können, welche sie soeben noch durch ihre Gegenwart geweiht hatte. Nein, ich übertreibe, ich habe niemals geglaubt, dass sie irgendeine heiligende Tugend besitze – es war vielmehr ein sehr süßliches Parfüm, welches sie zurückgelassen hatte, ein Duft von Amber und Moschus, der durchaus nicht an Heiligkeit erinnerte. Ich war gerade im Begriff, an dem Geruch der Treibhausblumen und der versprengten Essenzen zu ersticken, als es mir noch zu rechter Zeit einfiel, das Fenster zu öffnen und auf den Balkon hinauszugehen. Der Mond schien hell, das Gaslicht ebenfalls, und die Luft war still und klar. Auf dem Balkon standen ein oder zwei Stühle; ich setzte mich und zog eine Zigarre heraus … Ich werde jetzt auch eine nehmen, wenn Sie gestatten.«
Während er eine Havanna herausnahm und anzündete, entstand eine Pause. Nachdem er sie an seine Lippen geführtund den Rauch in die kalte, frostige, sonnenlose Luft geblasen hatte, fuhr er fort:
»In jenen Tagen mochte ich sogar Bonbons, Miss Eyre, und ich knusperte abwechselnd – verzeihen Sie diese Barbarei – Schokoladenkonfekt und rauchte meine Havanna. Ich betrachtete die Equipagen, welche durch die vornehmen Straßen dem benachbarten Opernhaus zurollten, als ich in einem eleganten, geschlossenen, von einem herrlichen Paar englischer Pferde gezogenen Wagen, den ich deutlich in dem strahlenden Gaslicht sah, die
voiture
erkannte, welche ich Céline geschenkt hatte. Sie kehrte zurück; selbstverständlich pochte mein Herz ungestüm vor Ungeduld gegen das eiserne Gitter, auf welches ich mich lehnte. Wie ich erwartet hatte, hielt der Wagen an der Tür des Hauses; meine Flamme – das ist das richtige Wort für ein Opernliebchen – stieg aus. Und obgleich sie in einen Mantel gehüllt war – eine unnötige Last an einem so warmen Juniabend –, erkannte ich sie sofort an ihrem kleinen Fuß, welcher unter dem Rand ihres Kleides hervorsah, als sie von dem Wagentritt herunterhüpfte. Ich war gerade im Begriff, mich über den Balkon zu beugen und in einem Ton, welcher nur für das Ohr der Liebe vernehmbar sein sollte, ›Mon ange!‹ zu flüstern, als nach ihr noch eine Gestalt aus dem Wagen sprang. Auch diese war in einen Mantel gehüllt, aber es war ein bespornter Absatz, welcher auf dem Straßenpflaster klirrte, ein mit einem schwarzen Hut bedeckter Kopf, welcher unter der gewölbten
porte-cochère
des Hauses verschwand.
Nicht wahr, Miss Eyre, Sie haben noch niemals gefühlt, was Eifersucht ist? Natürlich nicht. Ich brauche gar nicht zu fragen. Sie haben ja niemals Liebe gekannt. Beide Gefühle sollen Sie erst durch die Erfahrung kennenlernen; Ihre Seele schläft noch; der Schlag soll noch erfolgen, der sie wecken wird. Sie glauben, dass das ganze Leben in dem ruhigen Bache dahinfließt, in welchem Ihre Jugend bis jetztdahinschleicht. Mit geschlossenen Augen und tauben Ohren lassen Sie sich treiben, Sie sehen die Felsen nicht, welche sich kurz unter der Oberfläche erheben; Sie hören nicht, wie die Fluten sich an den Wellenbrechern aufbäumen. Aber ich sage Ihnen – und merken Sie sich meine Worte: Sie werden eines Tages an dem felsigen Engpass des Kanals ankommen, wo der ganze Lebensstrom sich in Wirbel und Tumult auflöst, in Lärm und Schaum und Toben. Entweder werden Sie an den Felsen in Atome zerschellen, oder eine große Welle wird Sie emporheben und Sie in einen ruhigen Strom tragen – wie es mir geschehen ist.
Ich liebe diesen Tag, ich liebe diesen bleiernen Himmel. Ich liebe diese Ruhe, diese Stille, diese Erstarrung der Welt in diesem Frost. Ich liebe Thornfield, sein altehrwürdiges Aussehen, seine Abgeschiedenheit, seinen alten Krähenhorst und seine Dornbäume, seine graue Fassade, die langen Reihen dunkler Fenster, welche jenen metallenen Himmel widerspiegeln! Und doch, wie lange Zeit habe ich den bloßen Gedanken an diesen Ort verabscheut, wie ein von der Pest befallenes Haus! Wie verabscheue ich noch heute …«
Er knirschte mit den Zähnen und schwieg; dann hielt er im Gehen inne und stampfte auf den hartgefrorenen Boden. Irgendein verhasster Gedanke schien ihn erfasst zu haben und ihn so festzuhalten, dass er nicht imstande war, einen Schritt vorwärts zu tun.
Wir
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