Jane Eyre (Schöne Klassiker) (German Edition)
schritten gerade die Allee hinauf, als er auf diese Weise stehenblieb; das Herrenhaus lag vor uns. Indem er die Augen erhob, warf er einen Blick auf jene Zinnen, wie ich vorher und nachher niemals einen ähnlichen gesehen hatte. Schmerz, Schande, Wut, Ungeduld, Ekel und Abscheu schienen in diesem Augenblick einen wogenden Kampf in seinen großen Augen zu führen, über denen sich die ebenholzschwarzen Brauen wölbten. Wild war der Streit um die Oberhand, dann aber schien ein anderes Gefühl zu triumphieren: hart und zynisch, eigenwillig und entschlossen.Seine Leidenschaft war gedämpft und sein Gesicht war wie versteinert. Er fuhr fort:
»Während des Augenblickes, wo ich schwieg, Miss Eyre, kämpfte ich eine Sache mit meinem Schicksal aus. Da stand es, an jenem Birkenstamme – eine Hexe, ähnlich einer von jenen, welche Macbeth auf der Heide von Forres erschienen. ›Liebst du Thornfield?‹, fragte sie und hob den Finger empor. Und dann schrieb sie eine Mahnung in die Luft, welche in feurigen Hieroglyphen an der ganzen Front des Hauses entlanglief, zwischen den Fenstern der Stockwerke: ›Liebe es, wenn du kannst! Liebe es, wenn du den Mut dazu hast!‹ – ›Ich will es lieben!‹, sagte ich. ›Ich habe den Mut, es zu lieben‹, und …«, fügte er düster hinzu, »… ich werde mein Wort halten. Ich werde jedes Hindernis zertrümmern, das sich dem Glück und dem Gutsein in den Weg stellt – ja, dem Gutsein. Ich will ein besserer Mensch sein, als ich war, als ich bin – wie Hiobs Leviathan den Speer, den Wurfspieß und die Harpune zerbrach. Hindernisse, welche andere Menschen für Stahl und Eisen halten, sollen für mich nichts anderes sein als Strohhalme, als schwaches, faules Holz.«
Hier kam Adèle ihm mit ihrem Federball entgegengelaufen. »Fort mit dir!«, rief er heftig, »halte dich fern, Kind, oder geh hinein zu Sophie!« Als er dann seinen Weg wieder schweigend fortsetzte, wagte ich es, ihm den Punkt seiner Erzählung wieder ins Gedächtnis zurückzurufen, an dem er plötzlich abgeschweift war.
»Und verließen Sie den Balkon, Sir, als Mademoiselle Varens eintrat?«, fragte ich.
Ich erwartete beinahe eine Zurechtweisung für diese schlecht angebrachte Frage, aber das Gegenteil geschah. Er erwachte aus seiner düsteren Grübelei, wandte die Blicke zu mir und der trübe Schatten schien von seiner Stirn zu schwinden.
»Ach ja, ich hatte Céline vergessen! Also, um wieder auf die Sache zurückzukommen: Als ich meine Zauberin so voneinem Kavalier begleitet ins Zimmer treten sah, war mir’s, als vernähme ich ein Zischen, und die grünäugige Schlange der Eifersucht ringelte sich in unzähligen Windungen vom mondbeschienenen Balkon empor, kroch in meine Weste und hatte in einem Augenblick den Weg bis in das Innerste meines Herzens gefunden. Seltsam!«
Wieder brach er ab.
»Seltsam, dass ich Sie zur Vertrauten all dieser Dinge wählen musste, junge Dame, und noch viel seltsamer, dass Sie mir so ruhig zuhören, als wäre es die natürlichste und gewöhnlichste Sache der Welt, dass ein Mann einem zarten, unerfahrenen Mädchen wie Sie es sind die Geschichten seiner Geliebten, einer Tänzerin, erzählt! Aber diese letzte Sonderbarkeit erklärt die erste, wie ich schon einmal andeutete. Sie mit Ihrem Ernst, Ihrer Überlegung und Vorsicht sind dafür geschaffen, die Großsiegelbewahrerin von Geheimnissen zu sein. Und außerdem weiß ich, mit was für einem Gemüt ich kommuniziere; ich weiß, dass es für Ansteckung unempfänglich ist. Es ist ein seltsames, ein einzigartiges Gemüt. Glücklicherweise habe ich nicht die Absicht, ihm Schaden zuzufügen; aber selbst wenn ich sie hegte, so würde es sich von mir nicht schaden lassen. Je mehr Sie und ich miteinander sprechen, desto besser; denn während ich Ihre Seele nicht trüben kann, besitzen Sie die Fähigkeit, die meine zu erfrischen!« Nach dieser Abschweifung fuhr er wieder fort:
»Ich blieb auf dem Balkon. ›Ohne Zweifel werden sie in ihr Boudoir kommen‹, dachte ich, ›ich werde einen Hinterhalt vorbereiten.‹ Ich schob meine Hand leise durch das geöffnete Fenster, zog den Vorhang zu und ließ nur einen kleinen Spalt offen, durch welchen ich meine Beobachtungen machen konnte. Dann schloss ich das Fenster bis auf eine schmale Ritze, die gerade weit genug war, um die geflüsterten Schwüre eines Liebhabers herausdringen zu lassen. Schließlich stahl ich mich zurück auf meinen Stuhl, undkaum hatte ich denselben eingenommen, als das Paar eintrat.
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