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J.D.SALINGER Neun Erzählungen

Titel: J.D.SALINGER Neun Erzählungen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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zwischen Hörer und Ohr. »Mir geht’s gut. Mir ist ganz heiß. Es ist der heißeste Tag, den sie in Florida seit –«
    »Warum hast du mich denn nicht angerufen? Ich habe mich zu –«
    »Liebste Mutter, schrei mich nicht an. Ich kann dich hervorragend hören«, sagte die junge Frau. »Ich habe dich gestern Abend zweimal angerufen. Einmal gleich nach – «
    »Ich habe deinem Vater noch gesagt , dass du wahrscheinlich gestern Abend angerufen hast. Aber nein, er musste ja – Ist alles in Ordnung, Muriel? Sag mir die Wahrheit.«
    »Mir geht’s gut. Hör bitte auf, mich das zu fragen.«
    »Wann bist du angekommen?«
    »Ich weiß nicht. Mittwochvormittag, früh.«
    »Wer ist gefahren?«
    »Er«, sagte die junge Frau. »Und reg dich nicht auf. Er ist sehr schön gefahren. Ich war erstaunt.«
    »Er ist gefahren? Muriel, du hast mir dein Ehren –«
    »Mutter«, unterbrach sie die junge Frau. »Gerade habe ich es dir gesagt. Er ist sehr schön gefahren. Im Übrigen die ganze Strecke unter achtzig.«
    »Hat er wieder diese komischen Sachen mit den Bäumen probiert?«
    »Ich sagte doch, er ist sehr schön gefahren, Mutter. Also bitte. Ich habe ihn gebeten, sich dicht an die weiße Linie zu halten, und er wusste, was ich damit meinte, und er hat es getan. Er hat sich sogar bemüht, nicht auf die Bäume zu gucken – das war ganz offensichtlich. Hat Daddy übrigens den Wagen repariert bekommen?«
    »Noch nicht. Die wollen vierhundert Dollar, nur wegen –«
    »Mutter, Seymour hat Papa doch gesagt , dass er es bezahlt. Es gibt keinen Grund zu –«
    »Na, wir werden sehen. Wie hat er sich benommen – im Wagen und überhaupt?«
    »Ganz gut«, sagte die junge Frau.
    »Hat er dich mit diesem grässlichen –«
    »Nein. Er hat jetzt einen neuen Namen für mich.«
    »Was?«
    »Ach, was ändert das schon, Mutter.«
    »Muriel, ich will es wissen. Dein Vater –«
    »Schon gut, schon gut. Er nennt mich Miss Spirituelles Flittchen 1948«, sagte die junge Frau und kicherte.
    »Das ist nicht lustig, Muriel. Das ist überhaupt nicht lustig. Es ist grauenvoll. Eigentlich traurig . Wenn ich daran denke, wie –«
    »Mutter«, unterbrach sie die junge Frau, »hör mir mal zu. Erinnerst du dich an das Buch, das er mir aus Deutschland geschickt hat? Du weißt schon – diese deutschen Gedichte. Was habe ich damit nur gemacht ? Ich zerbreche mir den –«
    »Du hast es doch.«
    »Bist du sicher ?«, sagte die junge Frau.
    »Aber natürlich. Vielmehr, ich habe es. Es ist in Freddies Zimmer. Da hast du es liegen gelassen, und ich hatte keinen Platz dafür im – Warum? Will er es?«
    »Nein. Er hat mich nur auf der Herfahrt danach gefragt. Er wollte wissen, ob ich es gelesen habe.«
    »Es war auf Deutsch!«
    »Ja, Mutter. Das ändert doch nichts«, sagte die junge Frau und schlug die Beine übereinander. »Er hat gesagt, die Gedichte seien nun mal vom einzigen großen Dichter des Jahrhunderts geschrieben worden. Er hat gesagt, ich hätte eine Übersetzung oder so was kaufen sollen. Oder bitte schön die Sprache lernen .«
    »Grässlich, ganz grässlich. Eigentlich ist es traurig, das ist es nämlich. Gestern Abend sagte dein Vater –«
    »Einen Moment, Mutter«, sagte die junge Frau. Sie ging zur Fensterbank, nahm sich eine Zigarette, zündete sie an und kehrte zu ihrem Platz auf dem Bett zurück. »Mutter?«, sagte sie und stieß Rauch aus.
    »Muriel. Nun hör mir mal zu.«
    »Ich höre.«
    »Dein Vater hat mit Dr. Sivetski gesprochen.«
    »Ach«, sagte die junge Frau.
    »Er hat ihm al les erzählt. Wenigstens hat er das gesagt – du kennst deinen Vater ja. Die Bäume. Die Sache mit dem Fenster. Die grauenvollen Dinge, die er zu Omi wegen ihrer Sterbepläne gesagt hat. Was er mit den gan z en hübschen Bildern von den Bermudas gemacht hat al les.«
    »Ja?«, sagte die junge Frau.
    »Ja. Als Erstes hat Dr. Sivetski gesagt, es sei ein absolutes Verbrechen , dass die Armee ihn aus dem Krankenhaus entlassen hat – Ehrenwort. Er hat deinem Vater sehr nachdrücklich gesagt, dass die Möglichkeit besteht – die Möglichkeit ist sehr groß, hat er gesagt – , dass Seymour voll ständig die Beherrschung verlieren könnte. Ehrenwort.«
    »Hier im Hotel gibt’s einen Psychiater«, sagte die junge Frau.
    »Wer ? Wie heißt er?«
    »Das weiß ich nicht. Rieser oder so ähnlich. Er soll sehr gut sein.«
    »Nie gehört.«
    »Na, jedenfalls soll er sehr gut sein.«
    »Muriel, werde bitte nicht pampig. Wir machen uns sehr große Sorgen um dich. Dein

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