J.D.SALINGER Neun Erzählungen
ihn?«
»Bloß vage. So ein kleiner Gefreiter? Schrecklich unattraktiv?«
»Unattraktiv. Gott! Der sah aus wie ein ungewaschener Bela Lugosi.«
Mary Jane warf den Kopf zurück und lachte dröhnend. »Großartig«, sagte sie und nahm wieder ihre Trinkhaltung ein.
»Gib mir mal dein Glas«, sagte Eloise, schwang die bestrumpften Füße auf den Boden und stand auf. »Ehrlich, diese Kuh . Ich habe alles unternommen, dass Lew sie bekniet, sie soll zu uns kommen. Jetzt tut es mir leid, dass ich – Woher hast du denn das Ding da?«
»Das ? « , sagte Mary Jane und fasste sich an die Kameenbrosche an ihrem Hals. »Liebe Güte, die hatte ich schon im College. Sie hat mal Mutter gehört.«
»Gott«, sagte Eloise, die leeren Gläser in der Hand. »Ich habe verdammt nichts Heiliges anzuziehen. Sollte Lews Mutter je sterben – ha ha – , dann hinterlässt sie mir wahrscheinlich einen alten Eispickel mit Monogramm oder so was.«
»Wie kommst du denn in letzter Zeit mit ihr aus?«
»Mach keine Witze«, sagte Eloise auf dem Weg zur Küche.
»Das ist aber wirklich der letzte für mich!«, rief Mary Jane ihr nach.
»Von wegen. Wer hat hier wen besucht? Und wer ist zwei Stunden zu spät gekommen? Du bleibst hier, bis ich dich satthabe. Zum Teufel mit deiner dämlichen Karriere.«
Mary Jane warf erneut den Kopf zurück und lachte dröhnend, doch Eloise war schon in der Küche.
Mit wenig oder gar nichts versorgt, um in einem Zimmer allein gelassen zu werden, stand Mary Jane auf und trat ans Fenster. Sie zog den Vorhang beiseite und lehnte sich mit dem H andgelenk an eine der Sprossen zwischen den Scheiben, zog es aber, als sie Staub spürte, wieder zurück, rieb es mit der anderen Hand sauber und stellte sich aufrechter hin. Draußen verwandelte sich der verdreckte Matsch sichtbar in Eis. Mary Jane ließ den Vorhang los und schlenderte zu dem blauen Stuhl zurück, vorbei an zwei übervollen Bücherregalen, ohne auch nur auf einen Titel zu schauen. Als sie saß, öffnete sie ihre Handtasche, holte den Spiegel heraus und betrachtete ihre Zähne. Sie schloss die Lippen, fuhr mit der Zunge kräftig über die oberen Schneidezähne und betrachtete sie erneut.
»Draußen wird es ganz eisig «, sagte sie, während sie sich umdrehte. »Gott, das ging aber schnell. Hast du denn auch Soda reingetan?«
Eloise, in jeder Hand ein frisch gefülltes Glas, blieb stehen. Sie streckte beide Zeigefinger wie Pistolenläufe aus und sagte: »Keiner bewegt sich. Das ganze verdammte Haus ist umstellt.«
Mary Jane lachte und steckte den Spiegel weg.
Eloise kam mit den Gläsern. Unsicher stellte sie Mary Janes auf den Untersetzer, behielt ihres aber in der Hand. Sie streckte sich wieder auf der Couch aus. »Was glaubst du, was die da draußen macht?«, fragte sie. »Sie sitzt auf ihrem fetten schwarzen Hintern und liest › Das Gewand ‹ . Mir sind beim Rausholen die Eisschalen runtergefallen. Und sie hat ganz gereizt aufgeschaut.«
»Das ist mein letzter. Ganz ehrlich«, sagte Mary Jane und nahm ihr Glas. »Ach, hör mal! Weißt du, wen ich letzte Woche gesehen habe? Bei Lord & Taylor’s im Erdgeschoss?«
»M m «, sagte Eloise und rückte das Kissen unter ihrem Kopf zurecht. »Akim Tamiroff.«
» Wer?« , fragte Mary Jane. »Wer ist das denn?«
»Akim Tamiroff. Der ist Filmschauspieler. Der sagt immer: › Du maks große Wietz – hah? ‹ Köstlich. … In diesem Haus ertrage ich kein einziges verdammtes Kissen. Wen hast du gesehen?«
»Jackson. Sie war – «
»Welche?«
»Weiß nicht. Die, die bei uns in Psycho war, die immer – «
»Die waren doch beide bei uns in Psycho.«
»Na. Die mit dem irrwitzigen – «
»Marcia Louise. Der bin ich auch mal über den Weg gelaufen. Hat sie dir ein Loch in den Bauch geredet?«
»Gott, ja. Aber weißt du, was sie mir erzählt hat? Dr. Whiting ist tot. Sie sagte, Barbara Hill habe ihr geschrieben, Whiting habe letzten Sommer Krebs bekommen und sei gestorben und so weiter. Sie habe nur noch achtundzwanzig Kilo gewogen. Als sie starb. Ist das nicht furchtbar?«
»Nein.«
»Eloise, du wirst eisenhart.«
»Hm. Was hat sie noch gesagt?«
»Ach, sie ist gerade aus Europa zurückgekehrt. Ihr Mann war in Deutschland oder so stationiert, mit dem war sie dort. Sie hatten ein Haus mit siebenundvierzig Zimmern , hat sie gesagt, nur mit noch einem weiteren Paar, und ungefähr zehn Leute Personal. Ein eigenes Pferd, und ihr Stallbursche war Hitlers persönlicher Reitlehrer oder so ähnlich. Ach, und
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