Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
Zeit für seine Patienten. Gut, als Senioren-Doktor hat er auch immer weniger von denen, aber egal. Im Wartezimmer saßen neben mir jedenfalls noch zwei sehr lebendige Exemplare, darunter ein stattlicher Silberrücken, anscheinend mit Bandscheibenvorfall. Als gewissenhafter Patient versuchte ich mein Handy abzustellen, fand aber zwischen den Tasten mit der Aufschrift »TV«, »VIDEOTEXT« und »REC« den Knopf zum Abschalten nicht. Wurscht, ich hatte anscheinend eh keinen Empfang.
Dr. Peters drückte mir zur Begrüßung angenehm kraftlos die Hand und fragte mich freundlich, wie es uns geht.
»Eigentlich sehr gut«, sagte ich. »Nur meine Frau ist der Meinung, ich mache merkwürdige Sachen und bräuchte mal wieder eine neue Plakette vom Senioren-TÜV.«
Dr. Peters und ich haben lange geredet, zum Teil auch über mich. Dann sagte er mit sanfter Stimme: »Herr Mockridge, Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben, Sie sind in einer Art zweiten Pubertät.«
»Aha, es fühlt sich aber eher an wie eine Art erste Senilität .«
Dr. Peters sah mich streng an: »Machen Sie darüber keine Witze! Senilität ist etwas ganz anderes. Senile Menschen machen verrückte Sachen, die räumen dreckiges Porzellan in den Kühlschrank oder versuchen mit einer Fernbedienung zu telefonieren!«
Ich lachte laut und schob zur Sicherheit mein »Handy« noch tiefer in die Tasche meines Jacketts.
Dr. Peters fuhr fort: »Herr Mockridge, auch Männer kommen in die Wechseljahre, und Sie haben anscheinend bereits gewechselt. Sie müssen sich das so vorstellen: Ihre innere, biologische Uhr lief bislang immer auf Sommerzeit, und jetzt hat sie gewechselt auf Winterzeit.«
»Das stimmt! Ich bin auch tagsüber nicht mehr so lange hell!«
In der folgenden Stunde zog Dr. Peters alle Register seiner Untersuchungskunst: Um mich zu beruhigen, nahm er mir zunächst literweise Blut ab. Dann durchleuchtete er meine Innereien mit Ultraschall, verkabelte mich am ganzen Körper, zapfte drei Kilowatt Öko-Strom aus meinem Hirn, förderte vier Kubikmeter Biogas, machte einen Ölwechsel, und nach nur einer weiteren Stunde war ich – Tröpfchen für Tröpfchen zum Erfolg – auch mit der Urinprobe fertig.
Nach der Prozedur stieg ich erschöpft ins Taxi und versuchte auf der Fernbedienung meine eigene Adresse zu googlen. Dr. Peters brachte mich dann gegen 20 Uhr mit dem Pferd nach Hause. Zum Glück hatte der Gaul meine Adresse noch vom letzten Hausbesuch im Navi gespeichert.
Drei Tage später stand ich wieder erwartungsvoll vor der Praxis, um meine – sicher überragenden – Untersuchungsergebnisse feierlich in Empfang zu nehmen. Dr. Peters jedoch sah nicht besonders zufrieden aus. Ich entdeckte bei ihm sogar ein leichtes erstes Stadium des Morbus-William-Blicks – scheint ansteckend zu sein. Sein Händedruck war auch nicht mehr angenehm schlaff, sondern fordernd stark. Ich fühlte mich wie vor einer Mathe-Arbeit ohne Spickzettel oder wie vor der Käsetheke ohne Einkaufszettel. Kalter Schweiß stand sich auf meiner langen Stirn die Füße wund. So fühlte es sich jedenfalls an.
Dr. Peters wühlte sich durch den Stapel mit meinen Untersuchungsergebnissen: »WILLIAM MOCKRIDGE! Das gefällt mir überhaupt nicht, was ich hier lesen muss. Ihre Trizo …«
Ich habe nicht alles so genau verstanden, was Dr. Peters mir sagen wollte – wahrscheinlich verfällt er bei Aufregung hin und wieder in seinen alten Dialekt aus der Eifel. Sinngemäß sagte er so was wie: Ihre Trizonesien sind viel zu hoch, Ihr Chloholin ist viel zu fettig, Ihre Legoplasten sind total durcheinander, und Ihre Harnsäure schmeckt mir auch nicht!
»Ich möchte, dass Sie etwas machen!«, fuhr Dr. Peters in strengem Ton fort. Das verstand ich leider nur allzu gut. »Ich möchte, dass Sie einen Monat lang ganz diszipliniert essen. Wie ernähren Sie sich im Moment?«
»Ja, äh, ich esse!«
»Was denn?«
»So Lebensmittel …«
»Gut, hören Sie sofort damit auf! Ich möchte, dass Sie keinen Kaffee und keinen Alkohol mehr trinken. Ich möchte, dass Sie keinen Kuchen mehr essen, nicht Süßes, nichts Fettiges, kein Gramm Fett! Und nichts Salziges! Einen Monat lang. Ja, tun Sie mir den Gefallen?« Und nach einer kurzen Pause: »Und ich möchte vor allem, dass Sie ab jetzt versuchen, Ihr Leben bewusst zu genießen!«
Wie genau der bewusste Genuss nach Dr. Peters aussehen könnte, entnahm ich seinem mir ungefragt überreichten Diätplan. Auf diesem Plan befanden sich
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