Je oller, je doller: So vergreisen Sie richtig (German Edition)
recht: Ich schicke die Lippen auf das Laufband, aber ich bleibe zu Hause!
Auch diese sechzigjährigen Männer, die plötzlich durchdrehen. Wollen auf jugendlich machen. Tragen die Jeans knapp unter dem Hintern, fahren mit dem Skateboard in die Stadt und lassen sich piercen. Wie sieht das denn aus? Ein Ohrring neben dem Hörgerät, ein Nasenring im Nasenhaar-Dschungel und ein Hodenring zwischen den Knien. Oder gar ein Tattoo auf dem schlaff gewellten Unterarm.
Oh, das bin ja ich! Ja, ich muss ein Geheimnis lüften: Ich trage ein Tattoo auf dem Unterarm. Auf dem linken. Jetzt ist es raus! Aber der feine Unterschied ist, dass ich mir das blutige Bildchen im süßen Alter von fünfzehn Jahren habe stechen lassen und nicht mit bitteren sechzig.
Wollen Sie es wirklich wissen? Na gut! Das kam so: Als Jugendlicher erkundete ich regelmäßig mit meinem Kumpel Jonny May die Straßen unserer Heimatstadt Toronto. (»Ich kaufe ein O!« Bink-Bink-Bink!) Rein zufällig führte eine dieser Straßen direkt in das Rotlichtviertel. In diesem kanadischen Kiez gab es jede Menge Tattoo-Shops, und einer zog uns ganz besonders an. Eine Wand des schmuddeligen Ladens war tapeziert mit Postern, auf denen tätowierte Frauen abgebildet waren. Damit wir uns verstehen: Die Frauen trugen nur Tattoos, sonst nichts. Jonny und ich standen immer wieder mit offenen Augen und Mündern vor den Nacktaufnahmen. Wo gab es das in den fünfziger Jahren (des zwanzigsten Jahrhunderts, nicht des neunzehnten) schon zu sehen. Bei uns zu Hause jedenfalls nicht. Wir führten also, in immer kleiner werdenden Abständen, unsere Anatomiestudien in der Körperstecherei fort. Eines Tages wurde unser Gegaffe dem zwei Meter großen und drei Zentner schweren Oberchirurgen der Tintenklinik wohl zu viel. Wir waren gerade dabei, das Foto einer Frau abzuspeichern, die mit dem Schnittmuster eines Brautkleides, inklusive sechs Meter Schleppe, verziert war, als sich langsam eine riesige Pranke auf meine Schulter legte. Auch diese Hand war ausgiebig beschriftet, unter anderem mit dem Satz: »Got save the Quen«.
Als ich die Orthographie des Geschreibsels eingehend studiert hatte, wusste ich: Dieser Mann ist zu allem fähig! Es gab nur eine Rettung: »Äh, Hallo! Können wir auch ein Tattoo haben?«
Ja, wir konnten! Es gab in Kanada bestimmt ein Gesetz, dass Jugendlichen unter einundzwanzig Jahren die Verschandelung des eigenen Körpers mittels Tätowierungen verbot. Der monströse Nadelstecher hatte es aber anscheinend nicht gelesen – oder nicht verstanden. Nach eingehendem Studium der großen Vorlagenbücher entschieden wir uns für einen Puma. Der geschmeidige Räuber war das Symbol der »Puma Squadron« – der besten Bande in unserem Internat. Jonny und ich waren kurz zuvor beigetreten. Über das Aufnahmeritual darf ich laut Ehrenkodex nicht sprechen.
Auch über die Schmerzen beim eigentlichen Vorgang des Tätowierens kann ich bis heute nicht reden. Ich verspüre immer noch höllische Phantomschmerzen in meinem linken Arm, wenn ich im Zoo einen Puma sehe. Aus diesen Gründen trage ich auch ausschließlich Turnschuhe der Firmen »Adidas«, »Nike« und »Romika«.
Zum Glück hatten Jonny und ich nur eine geringe Geldsumme zur Hand, sonst hätte uns das Tattoo-Monster sicher gleich den gesamten Körper zerstochen. Ich bekam meinen Puma für drei Dollar. Das sind in Kanada heute umgerechnet drei Dollar. Jonny hatte nur zwei Dollar flüssig, dafür blieb sein Puma schwarz-weiß. Wenigstens waren wir zum Glück Mitglieder der »Puma Squadron« und nicht der »Stinktier Army« …
Ich habe Jonny vor ein paar Jahren am Flughafen in Toronto getroffen. Ich war mit meiner kompletten Familie auf der Rückreise nach Deutschland. Jonny sah fabelhaft aus, und auch er erkannte mich sofort wieder. Als meine Söhne erfuhren, dass der aus meinen Erzählungen berühmte Jonny May vor ihnen stand, ließen sie natürlich nicht locker: Sie wollten unbedingt den Zwillingsbruder meines Pumas sehen. Jonny zierte sich kurze Zeit, gab dann aber dem Druck meiner Jungs nach. Einer gegen sechs – keine Chance, ich kenne das. Er zog seine Jacke aus, krempelte den linken Ärmel seines Hemdes auf und deutete mit einem »tut mir leid-Gesicht« auf seinen haarigen Arm. Statt eines stattlichen Pumas war nur eine kleine, schrumpelige Narbe zu sehen. Auf meinen fragenden Blick antwortete er: »Meine Frau und der Vorsitzende der Barclays Bank waren dagegen.«
Einfach so weggelasert! Hätte man die Haut
Weitere Kostenlose Bücher