Je sueßer das Leben
Handschrift zwar nie einen Preis gewonnen – seine Buchstaben standen immer so schief, dass sie beinahe umfielen –,aber es stellte sich heraus, dass er eines der schlauesten Kinder in seiner Klasse war.
Als Julia Gracies tränenüberströmtes Gesicht sieht, weiß sie, dass ihr nur eins bleibt. Sie nimmt das Rezept für das Freundschaftsbrot und heftet es mit einem Magneten an den Kühlschrank. Dann tritt sie resigniert einen Schritt zurück, schiebt den Gefrierbeutel sicherheitshalber ganz hinten in die Ecke und schließt ihre Tochter in die Arme.
»Pass gut auf deinen Brief auf, Gracie. In zehn Tagen werden wir es backen.«
Mark möchte nicht nach Hause.
Nein, das stimmt nicht. Er möchte nach Hause, aber er möchte nicht wieder mit Julia streiten oder hören, wie schrecklich ihr Tag war. Manchmal sieht sie ihn auch nur mit versteinerter Miene an und reagiert nicht auf seine Fragen, wie eine Wand.
Was ihn am meisten nervt, ist ihr ewiges Seufzen. Gegenüber diesem Seufzen würde er das Schweigen jederzeit vorziehen. Die Sonne kann scheinen, das Haus von oben bis unten blitzen (weil er jeden Abend aufbleibt, um zu putzen), Gracie gesund und munter sein, aber es reicht ihr immer noch nicht.
Er sitzt im Auto auf dem Parkplatz und weiß nicht, was er tun soll. Wahrscheinlich hat Julia wieder einmal nichts zum Abendessen vorbereitet. Wahrscheinlich wird sie ihn bitten, etwas von einem Imbiss mitzubringen oder irgendwelche Reste aufzuwärmen, während sie sich ins Bett legt, um sich auszuruhen.
Wovon muss sie sich eigentlich ausruhen? Gracie ist jeden Tag sieben Stunden im Kindergarten der Montessori-Schule. Julia arbeitet nicht mehr und hat auch sonst nichts zu tun. Sie holt Gracie vom Kindergarten ab, fertig. Für alles andere sorgt Mark, er versucht, alles am Laufen zu halten.
Jemand klopft an seine Scheibe, und er zuckt zusammen. Vivian McNeilly sieht lächelnd zu ihm herein. Vivian ist die Innenarchitektin von Gunther & Evarts und kümmert sich um die Luxuswohn- und -büroprojekte. Sie bedeutet ihm, dass er das Fenster herunterlassen soll.
Mark drückt auf den Knopf, aber es geschieht nichts. Es dauert einen Moment, bis er merkt, dass der Motor gar nicht läuft. Er kommt sich vor wie ein Idiot, als er nach dem Schlüssel kramt, ihn ins Zündschloss steckt und sich die Scheibe endlich mit einem Summen senkt.
»Störe ich?« Vivian lächelt ihn an. Sie spricht mit einem singenden Tonfall, der Mark von Anfang an gefallen hat, auch die Kunden lassen sich davon einwickeln. »Sie sehen aus, als wären Sie tief in Gedanken.«
»Was? Nein. Ich überlege nur, ob ich ins Fitnessstudio gehen soll oder nicht.« Was Blöderes fällt ihm wohl nicht ein, besonders weil er heute schon vor der Arbeit Sport gemacht hat. Am liebsten hätte Mark die Worte zurückgenommen.
Aber Vivian nickt ernst, als sei es das Interessanteste, was sie an diesem Tag gehört hat. Sie arbeitet jetzt seit einem Jahr für das Architekturbüro, und er hat sich in ihrer Gegenwart noch nie befangen gefühlt, aber plötzlich liegt eine Spannung in der Luft, die er seit Monaten nicht mehr gespürt hat.
Seit Jahren.
»In welches Fitnessstudio gehen Sie denn? Ich frage nur, weil ich nach der Arbeit immer im Avalon Park jogge, aber überlege, ob ich mich nicht doch in einem Fitnessstudio anmelden soll.« Sie beugt sich vor, nur ein wenig, und er riecht schwach ihr Parfüm.
Mark ahnt, wohin das steuert und dass er es lieber gleich im Keim ersticken sollte, aber er kann es nicht verhindern, dass sein Blick an ihr entlangwandert. Alles an ihr sieht so mühelos aus – wie ihre kastanienbraunen Locken über ihre Schultern fallen, der auf Figur geschnittene Hosenanzug und die hohen Schuhe, wie sie sich lässig an die Tür seines Autos lehnt. Sie kann keinen Tag älter als dreißig sein, wirkt jedoch wie eine welterfahrene Frau. Sie ist solo, und sie ist klug und viel zu jung, um in einer Kleinstadt wie Avalon zu versauern. Bevor er es verhindern kann, sagt Mark: »Ich gehe in ein Fitnessstudio in Freeport. Fitness Lifestyles. Sehr empfehlenswert – sie haben sogar ein Hallenbad.«
Warum erzählt er ihr das?
»Hört sich gut an«, sagt Vivian und strahlt ihn an. Mark ist irritiert. »Wissen Sie was? Ich fahre Ihnen einfach hinterher. Meine Joggingsachen liegen im Kofferraum. Ich unterschreibe den Mitgliedsvertrag, und dann können wir zusammen einen kurzen Workout machen, ja?«
Er befindet sich in gefährlichen Gewässern. Untergehen oder
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