Jeans und große Klappe
ist das denn passiert?«
»Ungefähr vor zwei Stunden.«
Ich hing schon am Telefon. Jawohl, meine Tochter befinde sich momentan im Gipsraum. Die Röntgenaufnahme habe eine Fraktur des Unterarmes ergeben. Zum Glück handele es sich um einen einfachen Bruch, und in vierzehn Tagen könne man wohl schon einen Halbgips anlegen. Im übrigen sei Stefanie in einer Viertelstunde fertig, und dann könne ich sie abholen.
Heulend packte ich meinen Koffer wieder aus. Heulend saß Stefanie daneben. »Warum scheucht mich unser dämlicher Sportlehrer auch immer wieder auf den Barren? Der weiß doch genau, daß ich jedesmal wie ein Nilpferd zwischen den Holmen hänge.« Dann fiel ihr noch etwas Tröstliches ein: »Übrigens hat der Arzt gesagt, ich sei die geborene Sportlerin – meine Knochen heilen so schnell!«
Bliebe zu bemerken, daß ich von der Jubiläumsfeier wenigstens einen akustischen Ausschnitt mitbekommen habe. Und die Kosten für mein 27 Minuten dauerndes Telefongespräch bezahlte Rolf später auch anstandslos. Immerhin waren sie erheblich geringer, als Flugticket und Reisespesen jemals gewesen wären.
7
Die Pubertät ist ein völlig normales Entwicklungsstadium, über das jeder hinwegkommt, ausgenommen allenfalls die Eltern des ›Pubertäters‹.
Es sind schon viele weise Abhandlungen über Aufzucht und Pflege von Teenagern geschrieben worden, aber ich werde einfach den Verdacht nicht los, daß die Autoren dieser verständnisvollen und meist um Nachsicht heischenden Artikel gar keine eigenen Kinder haben und das ganze Problem sozusagen vom grünen Tisch aus behandeln. Oder sie leben in so guten wirtschaftlichen Verhältnissen, daß sie ihre diversen Ratschläge auch wirklich in die Tat umsetzen können. Ich kenne nur zwei Psychologen persönlich, einer ist über siebzig und Junggeselle, der andere Mitte Zwanzig und Vater einer halbjährigen Tochter, die vom Teenager noch ein paar Jährchen entfernt ist. Im übrigen haust keiner der beiden Herren in einer Sozialwohnung, was Punkt 1 ihrer Ausführungen verständlich macht: »Schaffen Sie Ihren heranwachsenden Kindern ein eigenes Reich.« (Was bei der bundesdeutschen Einheitswohnung mit 84 qm Grundfläche einschließlich Küche und Bad nicht immer ganz einfach ist. Außerdem soll es Familien geben, die sich nicht an die Statistik halten und mehr als 1,8 Kinder in die Welt setzen!)
Gesetzt den Fall, das heranwachsende Kind hat nun tatsächlich ein eigenes Zimmer, so lautet Punkt 2 der psychologisch begründeten Thesen: »Lassen Sie Ihrem Kind weitgehende Freiheit bei der Ausgestaltung seiner eigenen vier Wände, und tolerieren Sie nach Möglichkeit auch ausgefallene Wünsche.«
In der Praxis sieht das so aus: Das heranwachsende Kind – in diesem Fall Stefanie – ist zwölfeinhalb Jahre alt, findet die einst heiß geliebten Möbel gräßlich und total ›out‹, begehrt völlige Renovierung des Zimmers und neues Mobiliar. Das Kind verzichtet auf die bevorstehenden Geburtstagsgeschenke, hängt sich ans Telefon, informiert die nähere Verwandtschaft über Inneneinrichtungspläne und erbittet Geld statt der sonst zu erwartenden Bücher oder der Frottiertücher für die Aussteuer. Der Maler rückt an, entfernt die Streublümchentapete und klebt weiße Rauhfaserbahnen an die Wände, denn nur ein neutraler Hintergrund bringt den künftigen Wandschmuck erst so richtig zur Geltung. Besagter Wandschmuck besteht aus Postern, auf denen langmähnige Jünglinge mit stupidem Gesichtsausdruck und karnevalistischem Habitus den Eindruck erwecken, als seien sie allesamt potentielle Anwärter für einen längeren Aufenthalt in einer Nervenklinik.
Da sich das Familienoberhaupt aus Ersparnisgründen weigert, auch Kleiderschrank und Wäschetruhe gegen rustikalere Sachen auszuwechseln (die von dem heranwachsenden Kind gewünschten Stücke bewegen sich zusammen so um die 1500 Mark), werden die verbleibenden Möbel ebenfalls mit Postern beklebt, was ihre Benutzung etwas erschwert. Ein Zurückschlagen der Schranktür etwa bewirkt, daß das papierene Abbild von Suzi Quatro an das Bücherregal knallt und einreißt. Einmal habe ich sogar Chris Normann mit dem Staubsauger aufgespießt.
Das heranwachsende Kind bekommt eine bunte Bettdecke, ein halbes Dutzend poppige Couchkissen, einen kleinen Berberteppich, einen runden Tisch und schließlich noch die beiden ›süßen Sesselchen‹. Unter dem Weihnachtsbaum findet es endlich noch die schicke Lampe, die dem beginnenden Teenager vor zwei
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