Jeans und große Klappe
Monaten als zu teuer verweigert worden war. Das heranwachsende Kind ist selig.
Spätestens nach anderthalb Jahren erklärt das inzwischen weiter heranwachsende Kind, daß es die dämlichen Visagen der Smokies und das alberne Grinsen von John Travolta nicht mehr sehen könne, die weißen Wände frustrierend finde und Christiane gerade eine Fototapete ins Zimmer bekommen habe.
Die geplagten Eltern des heranwachsenden Kindes stellen sich taub, übersehen zwei Wochen lang Leidensmiene und vorwurfsvolle Blicke, erklären sich schließlich zum Ankauf von Farbe bereit, lehnen die Finanzierung einer Malerkolonne jedoch ab. Das Kind hat eine Freundin, deren Bruder einen Freund hat, der Anstreicher lernt. Es entscheidet sich für zwei grüne und zwei blaue Wände, kauft vom Ersparten dunkelblauen Rupfenstoff, mit dem die süßen orangefarbenen Sesselchen behängt werden, und klebt dunkle Farbdrucke von Friedensreich Hundertwasser an die Wände. Das fertige Zimmer sieht aus wie ein Mausoleum, aber für die nächsten acht Monate herrscht Ruhe.
Wenn das gerade fünfzehn Jahre alte heranwachsende Kind anfängt, Möbelkataloge nach Hause zu schleppen, kann man sicher sein, daß es eine neue bedeutsame Phase durchmacht, die man ja nach Ansicht der Psychologen ausreifen lassen soll. Damit verbunden ist der Wunsch nach anderen Tapeten (das mir als ›echt irre‹ vorgelegte Muster erinnerte mich an die vollgeschriebene Schultafel am Ende einer Geometriestunde) und geringfügiger Änderung des Mobiliars, als da sind: Entfernen der Sessel, statt dessen Ankauf von Sitzkissen. Entfernen des Berberteppichs, statt dessen etwas buntes Handgeknüpftes, am besten in Patchwork manier.
Entfernen des runden Tisches, weil ›man‹ jetzt rechteckige habe. Entfernen der Lampe, statt dessen Montage zweier lampionartiger Gebilde, die bis auf den Fußboden hängen und in deren Zuleitungen man sich dauernd verheddert.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt schlägt jeder vernünftige Vater mit der Faust auf den Tisch, bezeichnet alle Psychologen als Idioten und sein heranwachsendes Kind als total übergeschnappt. Das heranwachsende Kind, wegen der unverständlichen Verweigerung der doch psychologisch so gut fundierten Wünsche einigermaßen verstört, wird renitent und holt jetzt mit zweieinhalbjähriger Verspätung die berüchtigte Maul- und Meckerphase nach, die es normalerweise schon längst überwunden gehabt hätte.
Ich weiß nicht, wie Psychologenväter gehandelt hätten. Vermutlich hätten sie ihrem heranwachsenden Kind einen Scheck in die Hand gedrückt, damit es sich Sitzkissen kaufen kann. Im nächsten Jahr wäre dann eine Baumbusliege fällig und ein Wandschmuck mit Jupitermonden.
Als Sascha anfing, von einer Fototapete mit der Skyline Manhattans zu faseln, und Sven ein ungewohntes Interesse für Holztäfelungen an den Tag legte, warf ich alles in den Mülleimer, was ich im Laufe der Jahre an psychologischen Weisheiten gesammelt hatte, und beschloß, dem Problem Teenager nach eigenem Gutdünken zu begegnen. Es mag ja ganz löblich sein, sich bei der Aufzucht von Kindern nach einem Buch zu richten, nur müßte man für jedes Kind ein anderes Buch haben. Im übrigen stellte ich fest, daß der Umgang mit Teenagern verhältnismäßig einfach ist, wenn man ein paar Grundregeln beachtet.
Die allerdings sind wichtig!
Regel Nr. 1:
Ein Teenager darf niemals und in keiner Situation wie ein normaler Sterblicher angesehen und behandelt werden. Man betrachtet ihn am besten als harmlosen Irren, der ja im allgemeinen von jedermann mit milder Nachsicht geduldet wird. (Gelegentliche Anwandlungen von Verzweiflung bekämpfe man mit der Selbstsuggestion, daß 99 Prozent aller Teenager wieder normaler werden. Das restliche Prozent wird Rocksänger.)
Regel Nr. 2:
Ein Teenager muß regelmäßig und vor allem außerhalb der üblichen Mahlzeiten gefüttert werden, wobei man berücksichtigen sollte, daß er morgens nie, mittags wenig und ab sechzehn Uhr ständig Appetit hat. Deshalb sorge man für einen ausreichend gefüllten Kühlschrank, wobei Quantität vor Qualität geht. Aus diesem Grunde begreife ich auch nicht, daß es eine Überproduktion an Nahrungsmitteln geben soll.
Teenager sind selten wählerisch und haben mitunter Gelüste, die an Schwangere erinnern. Wäre mein erster Teenager nicht männlichen Geschlechts gewesen, ich hätte vermutlich einige Wochen lang höchst unruhig geschlafen. Svens bevorzugte Zwischenmahlzeit bestand. aus Kartoffelchips
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