Jeans und große Klappe
schon herausbekommen hatte, daß es hierorts einen Reitstall gibt und man folglich auch das Reiten erlernen kann.
»Zum Geburtstag wünsche ich mir Reitstunden!« erklärte die Tochter dem Vater. Der hatte zwar nichts gegen körperliche Ertüchtigung, meinte aber, es gebe sicher auch preiswertere Möglichkeiten.
»Zu Weihnachten will sie dann ein Pferd haben! Erkläre deiner Tochter bitte, daß ich kein Millionär bin. Schick sie in den Turnverein, da gibt es auch Pferde.«
Stefanie wollte nicht aufs Seitpferd, sie wollte auf ein richtiges.
»Kann ich dann nicht wenigstens zum Voltigieren? Das kostet auch bloß zweifünfzig pro Stunde, und wenn ich mir sonst gar nichts weiter wünsche …«
Auf dem Geburtstagstisch lag ein Gutschein über zwanzig Voltigier-Stunden. Sascha schenkte seiner Schwester eine Packung Würfelzucker. »Vielleicht kannst du den Gaul damit bestechen. Ich würde mir an deiner Stelle die Sache noch mal überlegen. So ein Vieh ist doch ziemlich unbequem in der Mitte und gefährlich an beiden Enden.«
Trotzdem zog Stefanie stolzgeschwellt zu ihrem ersten Unterricht und kam nach anderthalb Stunden humpelnd wieder zurück.
»Runtergefallen bin ich bloß zweimal, aber dann ist mir das Pferd auf den Fuß getreten, ich weiß auch nicht, wieso.«
Zwei Tage lang lief sie nur in Turnschuhen herum, weil sie in keine anderen hineinkam, dann waren alle Schrecken vergessen, und Steffi sah ihre Seligkeit wieder auf dem Rücken von Kleopatra.
»Wie diese abgehalfterte Mähre zu dem hochtrabenden Namen gekommen ist, mögen die Götter wissen«, spöttelte Sven, der Stefanies Reitkünste begutachtet hatte, »ein Wunder, daß das Vieh überhaupt noch laufen kann.«
Diesmal brachte Steffi nur einen handtellergroßen blauen Fleck mit nach Hause. Die dritte Reitstunde verlief ohne Zwischenfälle, nach der vierten kam sie überhaupt nicht zurück. Dafür klingelte das Telefon, und eine Schwester Else informierte mich, daß meine Tochter derzeit verarztet werde und ich sie in einer halben Stunde von der Unfallstation abholen könne.
»Sie brauchen sich aber keine Sorgen zu machen, ein Schlüsselbeinbruch verheilt im allgemeinen ziemlich schnell und ohne Komplikationen.«
Als Steffi sich mit dem fachmännisch angelegten Rucksackverband den Zwillingen präsentierte, schüttelte Katja verständnislos den Kopf. »Wieso bist du da auf der Schulter so eingewickelt? Ich denke, du hast dir das Schlüsselbein gebrochen und nicht den Schlüsselarm?«
Stefanie verzichtete auf weitere Reitstunden und erwarb für das restliche Geld ein Paar Spikes sowie den vorschriftsmäßigen Sportdreß in den Randersauer Vereinsfarben Blau-Gelb. Angela hatte ihr erzählt, die Leichtathletikabteilung des hiesigen Sportclubs werde von Herrn Haßberg betreut, und für den schwärmte Steffi bereits seit der ersten Schulturnstunde.
Sehr schnell stellte Herr Haßberg fest, daß Stefanie im Hochsprung bestenfalls einen Ameisenhaufen überspringen konnte, im Weitsprung alle Eigenschaften eines gefüllten Mehlsacks aufwies und auch beim Hundertmeterlauf immer erst dann aus dem Startloch kam, wenn ihre Konkurrentinnen schon die halbe Distanz zurückgelegt hatten.
»Sie könnte aber eine recht gute Mittelstreckenläuferin werden«, erklärte er mir, als ich mich einmal selbst von den Fähigkeiten meiner Tochter überzeugen wollte und nachmittags zum Sportplatz gepilgert war. »Stefanie hat Kraft und Ausdauer.«
Also verlegte sie sich auf das Laufen. Den Schulweg bewältigte sie nur noch im Eilschritt, wobei sie den schweren Ranzen als zusätzliches Kräftetraining deklarierte, drehte dreimal wöchentlich ihre Runden auf der Aschenbahn und wurde bald zur tragenden Stütze der 4x400-Meter-Staffel. Sonntags bekamen wir sie nur noch abends zu Gesicht, weil sie ständig zu irgendwelchen Wettkämpfen mußte. Sie sammelte ein paar Jahre lang Urkunden und Medaillen wie andere Leute Briefmarken und sah im Geiste schon die Olympiaringe auf ihrem Dreß.
Plötzlich war es mit ihrem Enthusiasmus vorbei. Eines Sonntags war sie mißmutig nach Hause gekommen, hatte ihre Tasche in die Ecke gefeuert und kategorisch erklärt: »Auf mich können die in Zukunft verzichten. Ich mache bei diesem Affentheater nicht mehr mit!«
»Hast du den Stab verloren?« Rolf beteuerte Mitgefühl. »Mach dir nichts draus, das ist prominenteren Leuten auch schon passiert. Du brauchst nur an die Olympiade von 1936 zu denken.«
»Von wegen verloren! Das Ding ist in der Mitte
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