Jeder Hund kann gehorchen lernen
Leckerchen suchen.
Szene drei zeigt, wie Gysmo auf dem Karton des Videorekorders sitzt. Auf dem Kopf trägt er eine verspiegelte Sonnenbrille. Doch der eigentliche Clou: Der Karton ist auf dem Gepäckträger des Motorrollers festgeschnallt. Natürlich hat man hier ein bisschen getrickst, denn der ausgefahrene Ständer des Rollers wurde nachträglich wegretuschiert. Alles andere wäre für einen ungesicherten Hund viel zu gefährlich, zumal wir bei dieser Szene auf Kopfsteinpflaster arbeiten. Das Motorengeräusch an sich wäre für Gysmo allerdings kein Problem gewesen. Anders als viele Hunde reagiert er darauf nicht aggressiv, denn ich habe ihn schon als Welpen an laute Geräusche gewöhnt.
Gysmos Roller-Foto sieht im Prospekt völlig selbstverständlich aus, aber es steckt intensives, etappenweises Training dahinter. Gysmo muss sich zunächst daran gewöhnen, die Sonnenbrille zu tragen – zumindest für ein paar Sekunden –, obwohl Hunde normalerweise mit einem Abwehrreflex auf Brillen reagieren und den Fremdkörper vor den Augen so schnell wie möglich wieder loswerden wollen. Daher lasse ich Gysmo erst einmal an der Brille schnuppern. Dann setze ich sie ihm vorsichtig auf und lobe ihn mit einem lang gezogenen »Feiner Kerl!« in einer eher leisen, aber höheren Tonlage, die ihm zeigt, dass er gerade etwas gaaanz Tolles macht.
Gysmo wird aber bei diesem Training nicht nur enthusiastisch gelobt, er bekommt obendrein auch noch ein Leckerchen. Und schnell merkt er: »Je länger ich die Brille aufbehalte, desto mehr freut sich mein Rudelführer. Und desto mehr Extrahappen fallen für mich ab.’«
Nun kommt die nächste Schwierigkeit: Gysmo muss die Brille tragen, während er auf einem Karton sitzt. Auch das habe ich zu Hause mit einem Karton, der dem im Shooting ähnelt, trainiert. Mit einem einfachen »Platz!« – kurze Pause – und danach »Bleib!« hat Gysmo gelernt, auf dem Karton Platz zu machen und dort zu bleiben. Auch diesen letzten Schritt haben wir vor dem Shooting Dutzende Male so realistisch wie möglich trainiert: Ich hebe Gysmo hoch und platziere ihn auf dem Karton, der sich aber nun nicht mehr auf dem Boden, sondern auf dem Motorrad meiner Freundin befindet. Dann setze ich Gysmo die Brille auf. Er hat vor der Höhe keine Angst, denn aus Erfahrung weiß er: »Auf diesem Karton zu liegen tut mir gut, nach einer Weile kommt der Rudelführer zu mir und gibt mir ein Leckerchen.« Das intensive Training vorab zahlt sich aus. Rasch hat der Fotograf auch diese recht schwierige Szene in verschiedenen Motiven im Kasten. Die Agentur entscheidet sich schließlich für eines, bei dem Gysmo lässig die rechte Vorderpfote vom Karton herunterbaumeln lässt.
In Szene Nummer vier hat das Herrchen den Videorekorder ausgepackt – und Gysmo sitzt in dem leeren Karton. Kein Problem: Ich positioniere ihn dort mit einem einfachen »Bleib!«. Dabei soll er jedoch »süß-traurig« gucken. Mit einer Positivdressur käme ich hier nicht weiter. Wäre ein Leckerchen mit im Spiel, würde Gysmo sofort die Ohren spitzen und alles andere als süß-traurig aussehen. Den gewünschten Gesichtsausdruck erreiche ich, indem ich Gysmo etwas ernster anspreche. Prompt legt er die Ohren an und wirkt eher unterwürfig, und wenn er könnte, würde er vermutlich diese typische »Ich weiß von nichts«-Melodie pfeifen. Wie bestellt zeigt er den »süß-traurigen« Blick sowie die entsprechende Körpersprache, die signalisiert: Bloß nicht auffallen! Dafür erntet Gysmo von mir, dem Ranghöheren, die natürliche Reaktion: Ich beachte ihn für einige Momente nicht und tue so, als wäre er gar nicht da. Fast wie in einem echten Hunderudel
In der folgenden Szene der Prospekt-Geschichte zeigt Herrchen »seinem« Gysmo einen Videofilm mit der Hundedame Lassie. O-Ton Gysmo im Prospekt: »Ich stellte mich auf die Hinterbeine, um der edlen Dame in die funkelnden Augen zu schauen.« Was damit gemeint ist? Gysmo soll einen Blick in den Kassettenschlitz werfen. Damit der Fotograf ein entsprechendes Foto schießen kann, stecke ich ein stark riechendes Leckerchen in den Schlitz und schicke Gysmo anschließend los, nach dem Motto: »Auf geht’s, das ist deins!« Mein »Nasentier« reagiert wie erhofft. Szene im Kasten.
Bleibt nur noch ein Foto – Gysmos letzte Szene: Herrchen und die neue Nachbarin sitzen auf dem Sofa und gucken die Aufzeichnung von Legenden der Leidenschaft . Wer den Film kennt, weiß, dass Brad Pitt und seine Kollegen darin
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