Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
Zweiter ge-löst, um ihn bei guter Laune zu halten, oder auch, weil sie selbst froh war, diesen Kerl für mindestens zwei Tage los zu sein.
    Nun, als sich die andern Reisebegleiter langsam durch die Sperre drängten, sagte sie leise zu Enno: «Warte einmal, Enno, wir setzen uns einen Augenblick da in den Wartesaal und überlegen, was nun zu tun ist.»
    Sie setzten sich so, daß sie die Eingangstür im Auge hatten. Der Wartesaal war nur mäßig besetzt, nach ihnen kam eine lange Zeit keiner mehr herein.
    Frau Hete fragte: «Hast du darauf geachtet, Enno, was ich dir gesagt habe? Glaubst du, daß wir beobachtet worden sind?»
    Und Enno Kluge mit seinem gewohnten Leichtsinn, kaum war die dringendste Gefahr vorüber: «I wo! Beobachtet? Glaubst du, jemand läßt sich von so 'nem Idioten, wie es Borkhausen ist, schicken? So blau! So dußlig ist keiner!»
    Sie hatte es auf der Zunge, ihm zu sagen, daß sie diesen Borkhausen mit seiner argwöhnischen Gerissenheit für erheblich intelligenter hielt als den kleinen, feigen, leichtsinnigen Mann an ihrer Seite. Aber sie sagte es nicht. Sie hatte es sich heute früh beim Umkleiden zugeschworen, daß es mit allen Vorwürfen vorbei sein sollte. Ihre Aufgabe war nur noch, diesen Enno Kluge in Sicherheit zu bringen.
    War diese Aufgabe erfüllt, wollte sie ihn nie wiedersehen.
    Er sagte aus dem immer wieder gleichen Gedanken heraus, der ihn seit einer Stunde quälte, er sagte voll Neid:
    «Wenn ich du wäre, ich hätte diesem Kerl nie zweitausendeinhundert Mark bezahlt. Und dann noch zweihundertfünfzig Mark Reisespesen. Und dann noch Fahrkarte und Zuschlagkarte. Du hast dem Kerl über zweitausendfünfhundert gegeben, so 'nem Schwein! Ich hätt's nie getan!»
    Sie fragte: «Und was wäre aus dir geworden, wenn ich's nicht getan hätte?»
    «Hättest du mir zweitausendfünfhundert gegeben, du hättest sehen sollen, wie fein ich das Ding gedreht hätte!
    Das kannst du glauben, der Borkhausen wäre auch mit fünfhundert zufrieden gewesen!»
    «Tausend hat ihm ja schon die Gestapo versprochen!»
    «Tausend - da muß ich doch lachen! Als wenn die auf der Gestapo mit den Tausendern nur so schmissen! Und dann noch an so einen kleinen Spitzel, wie es der Borkhausen ist! Dem brauchen sie doch nur zu befehlen - und er muß tun, was sie wollen, für fünf Mark Tagegeld! Tausend, zweitausendfünfhundert - der hat dich aber bildschön gerupft, Hete!»
    Er lachte spöttisch.
    Seine Undankbarkeit verletzte sie. Aber sie hatte keine Lust, sich mit ihm auf Erörterungen einzulassen. Sie sagte nur etwas scharf: «Ich will davon nicht mehr reden! Verstehst du, ich will nicht!» Sie sah ihn so lange fest an, bis seine blassen Augen sich senkten. «Wir wollen jetzt lieber überlegen, was wir nun mit dir tun.»
    «Ach, das hat doch noch Zeit», sagte er. «Vor übermorgen
    kann er nicht zurück sein. Wir gehen jetzt zum Geschäft zurück, bis übermorgen fällt uns schon was ein.»
    «Ich weiß nicht, ich möchte dich nicht wieder ins Geschäft mitnehmen, oder höchstens, um deine Sachen zu packen. Ich bin so unruhig - vielleicht sind wir doch bespitzelt worden?»
    «Aber ich sage dir, wir sind's nicht! Ich versteh mehr von so was als du! Und der Borkhausen kann sich auch nie einen Spitzel halten, der hat ja nie Geld!»
    «Aber die Gestapo kann ihm einen stellen!»
    «Und der Spitzel von der Gestapo sieht zu, wie der Borkhausen nach München fährt und ich ihn zur Bahn bringe! So blau, Hete!»
    Sie mußte zugeben, daß er mit diesem Einwand recht hatte. Aber ihre Unruhe blieb. Sie fragte: «Ist dir das nicht aufgefallen mit den Zigaretten?»
    Er erinnerte sich nicht mehr. Sie mußte es ihm erst erzählen, wie der Borkhausen, sie waren kaum aus dem Haus, überall nach Zigaretten herumsuchte, er mußte durchaus welche haben. Er hatte auch Hete und Enno deswegen angeschnorrt. Aber die hatten auch keine, Enno hatte in der Nacht alle aufgeraucht. Borkhausen war aber dabei geblieben, er müsse welche haben, er hielte das nicht aus, er sei es gewohnt, eine am Morgen zu stoßen. Er
    hatte sich rasch von Hete zwanzig Mark «geborgt» und einen älteren Jungen angerufen, der mit viel Geschrei auf der Straße herumspielte.
    «Du, hör mal, Ede, weeßte hier nich wen, bei den du Zigaretten krichst? Aber Tabakkarte hab ick keene.»
    «Valleicht weeß ick eenen. Ha'm Se denn Jeld?»
    Es war ein sehr blonder, blauäugiger Junge in der Tracht des Jungvolks gewesen, mit dem Borkhausen da gesprochen hatte, ein echtes,

Weitere Kostenlose Bücher