Jeder stirbt für sich allein
dienstlich!»
Schließlich ließ ihm der Rotmützige achselzuckend sein Fahrgeld zurückzahlen, ihm war es egal. Möglich war alles heute, möglich war es schon, daß solche fragwürdigen Gestalten im Auftrage der Gestapo herumliefen. Um so schlimmer!
Emil Borkhausen aber machte sich auf die Suche nach seinem Sohn.
Aber vor der Tierhandlung von Hete Häberle fand er ihn
nicht, obwohl das Geschäft geöffnet war und Kunden aus und ein gingen. Hinter einer Anschlagsäule verborgen, überlegte Borkhausen, immer die Augen auf die Ladentür gerichtet, was geschehen sein konnte. Hatte KunoDieter einfach aus Langeweile seinen Posten verlassen?
Oder war Enno weggegangen - vielleicht wieder nach
«Ferner liefen»? Oder war der kleine Mann ganz fortgezogen, und die Frau wirkte nun allein im Laden?
Emil Borkhausen erwog es grade bei sich, ob er noch einmal ganz schamlos vor die überlistete Häberle treten und Auskünfte von ihr verlangen sollte, als ein vielleicht neunjähriger Bengel ihn anquatschte: «Hörense ma! Sind Sie der Vata von den Kuno?»
«Bin ich! Was ist denn?»
«'ne Mark sollnse mir jeb'n!»
«Wozu soll ich dir denn 'ne Mark geben?»
«Det ich Sie sare, wat ick weeß!»
Borkhausen tat einen raschen Griff nach dem Jungen.
«Erst Ware, dann Geld!» sagte er.
Aber der Junge war schneller als er, er war ihm unter dem
Arm durchgeschlüpft und rief: «Na, denn nich! Behalten Se man Ihre Mark!» Und er gesellte sich wieder zu seinen Spielgefährten, die auf der Fahrbahn direkt vor dem Laden tobten.
Dorthin konnte Borkhausen ihm nicht folgen, er wollte sich doch lieber nicht sehen lassen. Er rief und pfiff nach dem Jungen, den er zugleich mit seiner eigenen, hier so unangebrachten Sparsamkeit verfluchte. Aber der Junge ließ sich nicht so leicht listen und locken; erst eine gute Viertelstunde später tauchte er wieder bei Borkhausen auf, stellte sich vorsichtig in einiger Entfernung von dem zornigen Mann auf und verkündete frech: «Jetzt kost det zwee Märker!»
Borkhausen hätte sich den Bengel wiederum lieber gegriffen und nach Noten durchgeprügelt, aber was sollte er tun? Er war in seiner Hand, denn er konnte ihm nicht nachlaufen. «Ick wer dir 'ne Mark jeb'n», sagte er finster.
«Nee! Zwee Mark!»
«Jut, du sollst zwee Mark haben!»
Borkhausen nahm einen Packen Scheine aus der Tasche, fand einen Zweimärker, stopfte die andern Scheine zurück und hielt dem Jungen das Geld hin.
Der schüttelte den Kopf. «Ihnen kenn ick doch!» sagte er. «Wenn ick det Jeld nehme, langen Se nach mir. Nee, legen
Se's da ufft Pflaster!»
Finster, ohne ein Wort, tat Borkhausen, was der Junge ihn geheißen. «Na?» sagte er dann, richtete sich wieder auf und trat einen Schritt zurück.
Der Junge pirschte sich langsam an den Schein heran, stets wachsam das Auge auf den Mann geheftet. Als er sich nach dem Gelde bückte, konnte Borkhausen kaum der Versuchung widerstehen, sich dieses kleine Aas zu langen und abzuwackeln. Er hätte ihn fassen können, aber er widerstand dieser Versuchung, vielleicht bekam er dann überhaupt keine Auskunft, und der Bengel würde so schreien, daß die ganze Straße zusammenlief.
«Na?» fragte er noch einmal und diesmal drohend.
Der Junge antwortete: «Ich könnte ja jetzt ooch 'n Aas sind und nochma Jeld von Sie valangen und nochma und immer wieda. Aba ick bin nich so. Ick weeß jut, Sie wollten mir ebent wieda uff de Pelle, aba ick, ick bin nich so ' n Aas!» Dann, nachdem er seine moralische Überlegenheit über Borkhausen so gebührend ans Licht gestellt hatte, sagte er rasch: «Se soll'n in Ihre Wohnung uff Bescheid von Kuno'n warten!» Und der Junge war weg.
Die guten zwei Stunden, die Borkhausen in seiner Kellerwohnung auf den Bescheid von Kuno warten mußte, verminderten seinen Zorn nicht, nein, sie vermehrten ihn noch. Die Gören plärrten, Otti war im Wege, sie sparte nicht mit spitzen Bemerkungen über solche faulen Schweine, die den ganzen Tag rumsitzen, nischt tun wie Zigaretten qualmen und der Frau alle Arbeit lassen.
Er hätte einen Zehn-oder Fünfzigmarkschein hervor-ziehen und dadurch Ottis Stinklaune in das schönste Mützenwetter verwandeln können, aber er wollte nicht. Er wollte nicht schon wieder Geld verschenken, eben erst hatte er zwei Mark für eine dußlige Nachricht verschenkt, auf die er auch von allein hätte kommen können. Eine Wut erfüllte ihn auf den KunoDieter, der ihm solch ein kleines Aas auf den Hals geschickt, der sicher was verbockt hatte!
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