Jeder stirbt für sich allein
wäre alles so schön einfach gewesen - und nun München! Ausgerechnet München! Warum sagen Sie nicht gleich London - da kann ich ja dann nach dem Kriege hinfahren! Und alles vermasselt!
Es ginge so schön einfach, aber nee, es muß kompliziert sein! Und warum? Weil Sie kein Vertrauen zu Ihren Mitmenschen haben, weil Sie ein mißtrauischer Mensch sind, Frau Häberle! Ich bin so ehrlich zu Ihnen gewesen ...»
«Und ich bin ehrlich zu Ihnen! So mache ich dies Geschäft und anders nicht!»
«Na denn!» sagte er. «Denn kann ich ja gehen.» Er stand auf, nahm seine Schiebermütze. Aber er ging nicht.
«München kommt für mich gar nicht in Frage ...»
«Es wird eine ganz interessante kleine Reise für Sie sein», redete ihm Frau Häberle zu. «Die Fahrt ist hübsch, und in München soll es noch sehr gut zu essen und zu trinken geben. Sehr viel stärkeres Bier als hier bei uns, Herr Borkhausen!»
«Ich mach mir nichts aus Trinken», sagte er wieder, aber nicht so sehr mürrisch wie gedankenvoll.
Frau Hete sah ihm an, daß er seinen Kopf zergrübelte nach einem Ausweg, wie er das Geld nehmen und den Enno trotzdem ausliefern könnte. Sie prüfte nochmals ihren Vorschlag. Er schien ihr gut. Er schaffte den Borkhausen für mindestens zwei Tage aus dem Wege, und wenn das Haus wirklich nicht unter Bewachung stand (wovon sie sich schnell genug überzeugen würde), so war das Zeit genug, den Enno unterdes fortzuschaffen.
«Na ja», sagte Borkhausen schließlich und sah sie an.
«Sie tun's nicht anders, Frau Häberle?»
«Nein», sagte Frau Hete. «So sind meine Bedingungen, von denen gehe ich nicht ab.»
«Dann muß ich's wohl tun», sagte Borkhausen. «Ich kann doch nicht einfach die zweitausend Eier in den Wind schlagen.»
Das hatte er mehr zu sich, zu seiner eigenen Rechtfertigung vor sich selbst gesagt.
«Dann werde ich also nach München fahren. Und Sie gehen jetzt gleich mit mir aufs Postamt.»
«Gleich», sagte Frau Häberle gedankenvoll. Nun, da er doch zugesagt hatte, war sie noch immer nicht zufrieden.
Sie war ganz überzeugt, er plante eine neue Gemeinheit.
Sie mußte rauskriegen, welche ...
«Ja, wir gehen gleich», sagte sie noch einmal. «Das heißt: erst muß ich mich ein bißchen zurechtmachen und den Laden schließen.»
Er sagte rasch: «Wozu wollen Sie denn den Laden zumachen, Frau Häberle? Der Enno ist doch hier!»
«Der Enno geht mit uns», sagte sie.
«Wozu denn das nu wieder? Der Enno hat doch mit dem ganzen Geschäft nichts zu tun!»
«Weil ich es so haben will. Es könnte sonst nämlich sein», setzte sie hinzu, «daß der Enno gerade in dem Augenblick verhaftet wird, wenn ich das Geld an Sie einzah-le. Solche Versehen können vorkommen, Herr Borkhausen.»
«Aber wer soll ihn denn verhaften?»
«Na, zum Beispiel der Spitzel vor der Tür ...»
«Ist ja gar kein Spitzel vor der Tür!» Sie lächelte. «Sie können sich überzeugen, Frau Häberle. Gehen Sie doch rum, sehen Sie sich alle Leute an. Ich habe keinen Spitzel vor der Tür! Ich bin ein ehrlicher Mensch ...»
Sie sagte beharrlich: «Ich will den Enno bei mir haben.
Es ist schon sicherer.»
«Sie sind hartmäulig wie ein oller Maulesel!» rief er wütend. «Na also schön, soll der Enno auch mitgehn. Aber nun machen Sie auch ein bißchen fix!»
«So große Eile haben wir nicht», sagte sie. «Der Münchner Zug geht erst um zwölf herum. Wir haben alle Zeit. Und nun entschuldigen Sie mich für eine Viertelstunde, ich möchte mich ein bißchen zurechtmachen.» Sie sah ihn, wie er da am Tisch saß, immer das Auge aufmerksam auf die Glasscheibe gerichtet, durch die er den Laden beobachten konnte, prüfend an. «Und eine Bitte noch, Herr Borkhausen: Reden Sie jetzt nicht mit dem Enno, er hat reichlich im Laden zu tun, und überhaupt .»
«Was ich mit dem Idioten wohl reden soll!» sagte
Borkhausen ärgerlich. «Mit so 'nem Quatschkopf rede ich doch überhaupt kein Wort!»
Aber er setzte sich gehorsam anders, so daß er jetzt ihre Stubentür und das Hoffenster vor Augen hatte.
Ennos Austreibung
Zwei Stunden später war alles ausgestanden. Der Münchner Schnellzug war mit Borkhausen in einem Abteil zweiter Klasse aus der Halle des Anhalter Bahnhofs gerollt, mit einem lächerlich angeberischen, geschwollenen Borkhausen, der zum ersten Male in seinem Leben ein Abteil zweiter Klasse benutzte. Ja, Frau Häberle, die auch großzügig sein konnte, hatte diesem kleinen Spitzel auf seine Bitte hin im Zuge noch eine Zuschlagskarte
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