Jeder stirbt für sich allein
Garnichts setzt nur auf ein Pferd, und schon gewinnt er - aber er! Er kann tun, was er will: alles mißlingt ihm. Was für 'ne Mühe hat er sich mit dieser Häberle gegeben, hat sich gefreut, ein bißchen Geld in der Tasche zu haben -schon ist es wieder weg! Das Armband damals von der Rosenthal - weg! Der schöne Einbruch, eine ganze Handlung mit Wäsche - weg! Was er auch anfaßt, alles geht ihm schief.
Bin ein Schieflieger, das bin ich! sagt er voll Bitternis zu sich selbst. Na, wenn der Kommissar wenigstens die fünfhundert Eier mitbringt! Und den Kuno schlage ich einfach tot! Den zwiebele ich so lange, den laß ich hungern, bis er krepiert! Das vergeß ich ihm nie!
Borkhausen hat am Telefon dem Kommissar gesagt, er solle das Geld gleich mitbringen.
«Will mal sehen!» hat der Kommissar geantwortet.
Was das nun wieder heißen soll? Will der mich auch anscheißen ...? So was gibt's doch gar nicht!
Nein, an dieser ganzen Sache interessiert ihn nur das
Geld. Sobald er das Geld hat, wird er abhauen, aus dem Enno mag werden, was da will! Der interessiert ihn nicht mehr! Und vielleicht fährt er dann wirklich nach München. Er hat hier alles so über! Er mag einfach nicht mehr.
Kuno, der ihm in die Fresse haut und ihm Geld klaut - so was hat's noch nie gegeben, der eigene Sohn!
Nein, die Häberle hat recht: er wird nach München fahren. Wenn Escherich das Geld bringt, sonst kann er die Fahrkarte nicht kaufen. Aber ein Kommissar, der nicht Wort hält, so was kann doch einfach nicht sein! Oder?
Besuch bei Fräulein Anna Schönlein
Die telefonische Nachricht Borkhausens, er habe den Enno Kluge im Berliner Westen aufgestöbert, hatte den Kommissar Escherich in arge Verlegenheit gestürzt. Unwillkürlich hatte er geantwortet: «Ja, ich komme. Komme sofort!»
Er hatte sich schon zum Fortgehen fertiggemacht, und dann waren ihm doch wieder Bedenken gekommen.
Jawohl, nun hatte er ihn also, den so sehnlich Erwünschten, den seit Tagen Gejagten. Da hatte er ihn, er brauchte nur die Hand auf ihn zu legen, und er hatte ihn fest, den Burschen. Während des angestrengten, ungedul-digen Recherchierens hatte er immer nur an den Augenblick gedacht, daß er ihn fassen mußte; mit Gewalt hatte er jeden Gedanken an das, was mit dem Gefaßten zu tun sei, verjagt.
Aber nun war es soweit. Nur erhob sich diese Frage: Was sollte er denn eigentlich mit dem Enno anfangen? Er wußte es doch, jetzt wußte er es wieder ganz klar: der En-no Kluge war der Kartenschreiber nicht, wußte es mit aller
Klarheit. Während des Suchens hatte er sich das vernebeln können, er hatte sogar mit dem Assistenten Schröder davon geschwatzt, daß der Kluge bestimmt noch was anderes auf dem Kerbholz hatte.
Ja, eben was anderes, aber nicht dieses, nicht er hatte die Karten geschrieben! Nie! Nahm er ihn fest, brachte er ihn hierher in die PrinzAlbrecht-Straße, so würde nichts den Obergruppenführer abhalten können, den Kluge selbst zu vernehmen, und daß dann alles herauskam, nämlich gar nichts von den Karten, aber viel von einer abgelisteten Protokollunterschrift, das war klar! Nein, es war unmöglich, den Kluge hierherzubringen!
Aber ebenso unmöglich war es, den Kluge weiter draußen zu lassen, selbst unter ständiger Bewachung, nie würde Prall das zugeben. Er würde sich auch nicht mehr lange vertrösten lassen, selbst wenn Escherich ihm vorläufig die Auffindung Kluges verschwieg. Ein paarmal hatte er schon recht kräftig angedeutet, daß er diesen ganzen Fall Klabautermann in andere Hände legen würde, in etwas schlauere! Und so konnte der Kommissar sich nicht blamieren lassen - außerdem hing er an dem Fall, er war ihm wichtig geworden.
Escherich sitzt an seinem Schreibtisch und starrt vor sich hin, er zerbeißt den geliebten sandfarbenen Schnurrbart.
Eine verdammte Sackgasse, sagt er bei sich. Eine verdammte Sackgasse, in die ich mich da bugsiert habe! Was ich auch tue, ist falsch, und wenn ich nichts tue, ist es erst recht falsch! Elende Sackgasse!
Er sitzt da und grübelt. Die Zeit vergeht, und Kommissar Escherich sitzt immer noch da und grübelt. Der Borkhausen - zur Hölle mit diesem Borkhausen! Er soll da nur stehen und auf das Haus passen! Er hat Zeit genug dazu!
Und wenn ihm der Enno unterdes durch die Lappen geht, so wird er ihm die Eingeweide stückweise aus dem Leibe reißen! Fünfhundert Mark und gleich mitbringen! Der ganze Enno, hundert Ennos sind keine fünfhundert Mark wert! In die Fresse wird er dem Borkhausen schlagen,
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