Jeder stirbt für sich allein
so ein dämlicher Hund! Was geht ihn der Kluge an, er braucht den Kartenschreiber!
Aber dann, während er da still sitzt und immer weitergrübelt, wird Kommissar Escherich doch vielleicht anderer Ansicht im Falle Borkhausen. Jedenfalls steht er auf und geht zur Kasse. Er läßt sich dort fünfhundert Mark geben («wird später abgerechnet») und kehrt in sein Zimmer zurück. Er hat im Dienstwagen in die Ansbacher fahren wollen, auch zwei von seinen Leuten mitnehmen - aber das bestellt er jetzt um, er braucht weder Wagen noch Leute.
Vielleicht ist Escherich nicht nur, was diesen Borkhausen angeht, anderer Ansicht geworden, vielleicht ist ihm auch etwas zum Fall Enno Kluge eingefallen. Jedenfalls nimmt er jetzt seinen Dienstrevolver, die Kanone, aus der Hosentasche und steckt dafür eine leichte Pistole ein, die aus einer kürzlich durchgeführten Beschlagnahme stammt. Er hat es schon versucht, das kleine Ding liegt ausgezeichnet in der Hand und schießt gut.
Nun also, gehen wir. Auf der Schwelle seines Zimmers bleibt der Kommissar stehen, dreht sich noch einmal um.
Etwas Merkwürdiges geschieht: er macht, ohne es zu wollen, eine grüßende, eine abschiednehmende Bewegung zu diesem Zimmer. Lebe wohl ... Ein dunkles Gefühl, eine Ahnung, deren er sich doch beinah schämt, daß Kommissar Escherich dieses Zimmer nicht so wiedersehen wird, wie er es jetzt verläßt. Bisher war er ein Beamter, der Menschen jagt, wie ein anderer Briefmarken verkauft, ordentlich, fleißig, nach den Vorschriften.
Wenn er heute aber oder erst morgen früh in dies Zimmer zurückkehrt, wird er vielleicht nicht mehr derselbe Beamte sein. Er wird sich etwas vorzuwerfen haben, etwas, das nicht zu vergessen ist. Etwas, das vielleicht nur er weiß, aber um so schlimmer: er weiß es, und nie kann er sich freisprechen.
So grüßt Escherich sein Zimmer und geht und schämt sich halb des Abschiedsgrußes. Wir werden ja sehen, sagt er beruhigend zu sich. Es kann alles noch ganz anders
kommen. Erst muß ich mal mit dem Kluge reden ...
Auch er benutzt die U-Bahn, und es wird schon Abend, als er in die Ansbacher Straße kommt.
«Sie können einen aber auch fein warten lassen!»
knurrt Borkhausen wütend bei seinem Anblick. «Ganzen Tag noch nischt gegessen! Haben Sie mein Geld mitgebracht, Herr Kommissar?»
«Halt die Klappe!» knurrt der Kommissar, was Borkhausen ganz richtig für eine Bejahung nimmt. Sein Herz fängt wieder an, leichter zu schlagen: Geld in Aussicht!
«Wo wohnt der denn hier, der Kluge?» wird er vom Kommissar gefragt.
«Weiß ich doch nicht!» sagt Borkhausen sofort ge-kränkt, um etwaigen Vorwürfen zuvorzukommen. «Ich kann doch nicht hier ins Haus gehen und nach ihm fragen, wo er mich von früher her kennt! Nee, aber er wird wohl im Gartenhaus wohnen, das werden Sie schon selber rauskriegen, Herr Kommissar. Ich habe meine Arbeit gemacht, ich möchte jetzt mein Geld.»
Escherich beachtet das gar nicht, er fragt Borkhausen, wieso der Enno jetzt hier im Westen wohnt, wie er ihm auf die Spur gekommen ist?
Borkhausen muß das ausführlich berichten, der Kommissar macht sich Notizen über Frau Hete Häberle, die Tierhandlung, die abendliche Knieszene: diesmal schreibt der Kommissar alles auf. Natürlich ist der Bericht, den Borkhausen macht, nicht ganz vollständig, das kann man aber auch nicht verlangen. Niemand kann von einem Manne verlangen, daß er seinen eigenen Reinfall gesteht.
Denn wenn Borkhausen berichtet, wie er zu dem Geld der Häberle gekommen ist, müßte er auch berichten, wie es wegkam. Er müßte wohl auch von den zweitausend Eiern erzählen, die jetzt für ihn nach München rollen. Nee, aber das kann keiner von ihm verlangen!
Wäre Escherich ein bißchen besser in Form gewesen, so wären ihm einige Ungereimtheiten in dem Bericht seines Spitzels aufgefallen. Aber Escherich ist innerlich immer noch stark mit andern Dingen beschäftigt, am liebsten schickte er diesen Borkhausen fort.
Aber er braucht ihn noch eine Weile, und so sagt er denn zu ihm: «Warten Sie hier!» und geht ins Haus.
Doch er geht nicht gleich in das Gartengebäude, sondern begibt sich in die Portierloge des Vorderhauses und zieht dort Erkundigungen ein. Dann erst betritt er, begleitet von dem Portier, das Gartenhaus und beginnt langsam die Treppe bis in den vierten Stock hinaufzusteigen.
Daß der Enno Kluge hier im Haus ist, hat der Portier ihm nicht bestätigen können. Der Portier ist nur für die Herrschaften im Vorderhaus da, nicht
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