Jeder stirbt für sich allein
ist gemeldet worden», sagte er, sich wieder hinsetzend, «daß Sie viel Besuch empfangen, Besuch, der meist über ein paar Nächte bei Ihnen bleibt, der aber nie gemeldet wird. Sie kennen die Bestimmungen über die Meldepflicht?»
«Bei meinen Besuchen handelt es sich fast nur um Neffen und Nichten, die nie mehr als höchstens zwei Nächte bei mir bleiben. Ich glaube, die Meldepflicht beginnt erst mit der vierten Übernachtung.»
«Sie müssen eine sehr große Familie haben, Fräulein Schönlein», sagte der Kommissar gedankenvoll, «fast jede Nacht kampieren ein, zwei, manchmal auch drei Personen bei Ihnen.»
«Das ist maßlos übertrieben. Übrigens habe ich tatsächlich eine sehr große Familie. Sechs Geschwister, alle kinderreich verheiratet.»
«Und so würdige alte Herren und Damen unter Ihren Neffen und Nichten!»
«Ihre Eltern besuchen mich natürlich auch dann und wann.» «Eine sehr große, reiselustige Familie ... Übrigens, was ich noch fragen wollte: Wo haben Sie Ihren Radioapparat zu stehen, Fräulein Schönlein? Ich habe eben keinen gesehen.»
Sie preßte die Lippen fest zusammen. «Ich besitze keinen Radioapparat.»
«Sicher!» sagte der Kommissar. «Sicher. Genau, wie Sie nie zugeben werden, daß Sie Zigaretten rauchen. Aber Radiomusik ist der Lunge nicht schädlich.»
«Aber der politischen Gesinnung», antwortete sie ein wenig spöttisch. «Nein, ich besitze keinen Radioapparat.
Wenn Musik aus meiner Wohnung gehört worden ist, so handelt es sich dabei um ein Koffergrammophon, das dort in Ihrem Rücken auf dem Regal steht.»
«Und das in fremden Sprachen spricht», ergänzte der Kommissar.
«Ich habe viele ausländische Tanzplatten. Ich halte es für kein Verbrechen, sie auch jetzt im Kriege meinen Besuchern gelegentlich vorzuspielen.»
«Ihren Neffen und Nichten? Nein, das wäre wirklich kein Verbrechen.»
Er stand auf, die Hände in den Taschen. Plötzlich sprach er nicht mehr spöttisch, er sagte brutal: «Was meinen Sie, was wird, wenn ich Sie jetzt hops nehme, Fräulein Schönlein, und einen kleinen heimlichen Posten hier in Ihrer Wohnung placiere? Der würde dann Ihre Besucher in Empfang nehmen und sich die Papiere Ihrer Neffen und Nichten genauer ansehen. Vielleicht bringt einer der Besucher sogar einen Radioapparat mit! Was meinen Sie?»
«Ich meine», sagte Fräulein Schönlein unerschrocken,
«daß Sie von vornherein die Absicht hatten, mich festzunehmen. Also ist es ganz gleichgültig, was ich sage. Gehen wir! Ich darf nur wohl schnell ein Kleid statt dieser Trainingshose anziehen?»
«Einen Augenblick noch, Fräulein Schönlein!» rief der Kommissar ihr nach.
Sie blieb stehen und wandte sich, die Hand auf der Klinke, nach dem Mann um.
«Einen Augenblick noch! Es ist natürlich vollkommen richtig, wenn Sie den Herrn in Ihrem Kleiderschrank noch vor unserm Fortgehen befreien. Schon vorhin, als ich durch Ihr Schlafzimmer ging, schien er mir stark unter Luftmangel zu leiden. Auch ist wahrscheinlich viel Mot-tenpulver in dem Schrank .»
Jetzt waren die roten Flecke aus ihrem Gesicht verschwunden, weiß wie ein Laken starrte sie ihn an.
Er schüttelte den Kopf. «Kinder! Kinder!» sagte er mit spöttischer Mißbilligung. «Wie leicht ihr es uns doch macht! Und ihr wollt Verschwörer sein? Ihr wollt was gegen diesen Staat ausrichten mit euren kindischen Mätzchen? Ihr schadet allein euch!»
Sie starrte ihn noch immer an. Ihr Mund war fest geschlossen, die Augen glänzten fieberisch, die Hand lag noch immer auf der Klinke.
«Nun, Sie haben Glück, Fräulein Schönlein», fuhr der Kommissar immer in dem Ton leichter, verächtlicher Überlegenheit fort, «insofern, als Sie mir heute ganz uninteressant sind. Ich interessiere mich heute nur für diesen Herrn in Ihrem Kleiderschrank. Es kann sein, wenn ich mir auf meinem Büro Ihren Fall genauer überlege, daß ich mich dann verpflichtet fühle, der zuständigen Stelle über Sie eine Meldung zu machen. Es kann sein, sage ich, ich weiß es noch nicht. Vielleicht scheint mir dann Ihr Fall zu unbeträchtlich - besonders im Hinblick auf Ihr Lungenleiden .»
Plötzlich brach es aus ihr hervor: «Ich will keine Gnade von euch! Ich hasse euer Mitleid! Mein Fall ist nicht unbeträchtlich! Jawohl, ich habe regelmäßig politisch Verfolgten Unterkunft gewährt! Ich habe ausländische Sender abgehört! So, nun wissen Sie es! Nun können Sie mich nicht mehr schonen - trotz meiner Lunge!»
«Mädchen!» sagte er spöttisch und sah die
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