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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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gezogen, wo er bekannt zu sein scheint. Der Kommissar ißt üppig, es gibt nicht nur ausgezeichnetes reichliches Essen mit Wein und Schnäpschen, es gibt auch Bohnenkaffee, Kuchen und Zigaretten. Dabei er-klärt Escherich ganz schamlos: «Denken Sie bloß nicht, daß ich das bezahle, Kluge! Das geht alles auf Borkhausensche Rechnung. Das bezahle ich nämlich von dem Geld, das er eigentlich hätte kriegen sollen. Ist doch hübsch, daß Sie sich den Wanst von der Belohnung voll-schlagen, die für Ihre Ergreifung ausgesetzt ist. Ausglei-chende Gerechtigkeit .»
    Der Kommissar redet und redet, aber vielleicht ist er nicht ganz so überlegen, wie er tut. Er hat wenig gegessen, dafür rasch und viel getrunken. Vielleicht sitzt eine Unruhe in ihm, der ganze Mann ist von einer bei ihm ungewohnten Nervosität. Mal spielt er mit Brotkugeln, und dann faßt er ganz plötzlich rasch nach der Gesäßtasche, in der die leichte Pistole sitzt, wobei er einen raschen Blick auf Kluge wirft.
    Der Enno sitzt ziemlich teilnahmslos dabei. Er hat tüchtig gegessen, aber kaum getrunken. Er ist immer noch völlig verwirrt, er weiß nicht, was er aus dem Kommissar machen soll. Ist er nun verhaftet, oder ist er es nicht? En-no kapiert nichts.
    Das erklärt ihm gerade der Escherich. «Da sitzen Sie, Herr
    Kluge», sagt er, «und wundern sich über mich. Ich habe natürlich geschwindelt, mein Hunger war gar nicht so groß, ich will nur die Zeit totschlagen bis nach zehn Uhr. Wir müssen nämlich einen kleinen Spaziergang machen, und da wird sich ja zeigen, was ich mit Ihnen anfangen soll. Ja -das - wird - sich - da - zeigen ...»
    Der Kommissar hat immer leiser, nachdenklicher und langsamer gesprochen, und Enno Kluge wirft einen argwöhnischen Blick auf ihn. Irgendeine neue Teufelei steckt sicher hinter dem kleinen Spaziergang um zehn Uhr nachts. Aber welche? Und wie kann er ihr entgehen? Der Escherich paßt auf wie der Teufel, nicht einmal auf die Toilette darf Kluge allein.
    Der Kommissar fährt fort: «Die Sache ist die, daß ich meinen Mann erst nach zehn Uhr erreiche. Er wohnt draußen in Schlachtensee, verstehen Sie, Herr Kluge? Das ist das, was ich einen kleinen Spaziergang nenne.»
    «Und was habe ich damit zu tun? Kenne ich den Mann?
    Ich kenne doch keinen Menschen in Schlachtensee! Ich habe immer um den Friedrichshain rum gewohnt ...»
    «Ich denke, daß Sie ihn vielleicht doch kennen. Ich möchte, daß Sie ihn sich einmal ansehen.»
    «Und wenn ich ihn angesehen habe, und es hat sich herausgestellt, daß ich ihn nicht kenne, was dann? Was
    wird dann mit mir?»
    Der Kommissar macht eine gleichgültige Bewegung:
    «Das wird sich dann schon zeigen. Ich denke mir, Sie werden den Mann kennen.»
    Beide schweigen. Dann fragt Enno Kluge: «Hat das wieder mit dieser verdammten Postkartengeschichte zu tun?
    Ich wollte, ich hätte dieses Protokoll nie unterschrieben.
    Ich hätte Ihnen den Gefallen nicht tun sollen, Herr Kommissar.»
    «Wirklich? Ich glaube beinah, Sie haben recht, für Sie wie für mich wäre es besser gewesen, Sie hätten nicht unterschrieben, Herr Kluge!» Er starrt sein Gegenüber so düster an, daß Enno Kluge einen neuen Schreck bekommt.
    Der Kommissar bemerkt es. «Nu, nu», sagt er beruhigend,
    «wir werden ja sehen. Ich denke, wir trinken noch einen Schnaps und fahren dann los. Ich möchte gern noch den letzten Zug in die Stadt zurück bekommen.»
    Kluge starrt ihn entsetzt an. «Und ich?» fragt er mit zitternden Lippen. «Soll ich - da - draußen - bleiben?» «Sie?» Der Kommissar lacht. «Sie werden natürlich mit mir fahren, Herr Kluge! Was starren Sie mich denn so entsetzt an? Ich habe doch nichts gesagt, das Sie so erschrecken könnte. Natürlich werden wir beide zusammen in die Stadt zurückfahren. Da kommt der Kellner mit unserm Schnaps. Ober, warten Sie einen Augenblick, wir geben Ihnen die Gläser gleich zum Umtauschen.»
    Wenig später waren sie auf dem Weg zum Bahnhof Zoo. Sie fuhren mit der S-Bahn, und als sie in Schlachtensee ausstiegen, war die Nacht so dunkel, daß sie im ersten Augenblick ratlos auf dem Bahnhofsplatz standen. Wegen der Verdunklung sah man nirgends ein Licht.
    «In dieser Finsternis finden wir nie den Weg», sagte Kluge angstvoll. «Herr Kommissar, bitte, lassen Sie uns zurückfahren! Bitte! Ich will lieber die Nacht bei Ihnen auf der Gestapo sitzen, als .»
    «Reden Sie keinen Unsinn, Kluge!» unterbrach ihn der Kommissar grob und zog den Arm des Schmächtigen fest durch den seinen.

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