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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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seltsam altjüngferliche Gestalt in der Trainingshose und dem gelben, rotknöpfigen Pullover fast mitleidig an. «Bei Ihnen ist es ja nicht nur die Lunge, bei Ihnen sind es auch die Nerven!
    Eine halbe Stunde Verhör bei uns, und Sie würden staunen, was für ein schreiender, jammervoller Dreckhaufen Ihr Leib ist! Es ist sehr unangenehm, wenn man das an sich entdeckt, diese Kränkung des Selbstgefühls verwin-den manche nie, bammeln sich hinterher auf.»
    Er sah sie noch einmal an, nickte nachdenklich. Er sagte verächtlich: «Und so was nennt sich Verschwörer!»
    Sie zuckte zusammen, wie von einer Peitsche getroffen, aber sie antwortete mit keinem Wort.
    «Doch wir vergessen über unserer netten Unterhaltung ganz Ihren Besucher im Kleiderschrank», fuhr er dann fort. «Kommen Sie, Fräulein Schönlein! Wenn wir ihn nicht bald erlösen, ist er hinüber.»
    Er war wirklich nahe am Ersticken, der Enno Kluge, als ihn Escherich aus dem Schrank zog. Der Kommissar legte das Männlein auf eine Chaiselongue und bewegte ein paarmal seine Arme auf und ab, um bessere Luft in seine
    Lungen zu bringen.
    «Und nun», sagte er und sah zu der Frau hin, die wortlos im Zimmer stand, «und nun, Fräulein Schönlein, lassen Sie mich am besten eine Viertelstunde mit dem Herrn Kluge allein. Sie setzen sich wohl in die Küche, die ist zum Lauschen am ungeeignetsten.»
    «Ich lausche nie!»
    «Nein, wie Sie nie Zigaretten rauchen und nur Neffen und Nichten mit Schallplattenmusik erfreuen! Nein, besser, Sie setzen sich in die Küche. Ich werde Sie rufen, wenn ich Sie brauche!»
    Er nickte ihr noch einmal zu und überzeugte sich davon, daß sie wirklich in die Küche gegangen war. Dann wendete er sich zu Herrn Kluge, der jetzt auf dem Sofa saß und mit seinen farblosen Augen angstvoll auf den Kommissar starrte. Schon fingen die Tränen an, über sein Gesicht zu rollen.
    «Nu, nu, Herr Kluge», sagte der Kommissar beruhigend. «So sehr freuen Sie sich über das Wiedersehen mit dem ollen Kommissar Escherich? Sie haben sich also nach mir gesehnt? Die Wahrheit zu sagen, ich habe mich auch nach Ihnen gesehnt und bin glücklich, Sie wiedergefunden zu haben. Nun soll uns so bald nichts wieder trennen, lieber Herr Kluge!»
    Die Tränen Ennos rannen stromweise. Er schluchzte hastig: «Ach, Herr Kommissar, Sie haben mir doch fest versprochen, mich freizulassen!»
    «Habe ich Sie denn nicht freigelassen?» fragte der Kommissar erstaunt. «Aber das schließt doch nicht aus, daß ich Sie immer mal wieder festnehme, wenn ich mich nach Ihnen sehne. Vielleicht habe ich ein neues Protokoll zu unterschreiben, was, Herr Kluge? Sie als mein guter Freund werden mir doch so einen kleinen Gefallen nicht abschlagen, was?»
    Enno erzitterte unter dem Blick dieser mitleidlos auf ihn gerichteten höhnischen Augen. Er wußte, diese Augen würden alles aus ihm herausziehen, alles würde er gleich ausquatschen, und dann war er verloren, für immer und ewig, so oder so .

Escherich und Kluge gehen spazieren
    Es war schon ganz dunkel, als Kommissar Escherich mit Enno Kluge das Gartenhaus in der Ansbacher Straße verließ. Nein, trotz der Lunge hatte sich der Kommissar nicht entschließen können, den Fall von Fräulein Anna Schönlein als unbeträchtlich anzusehen. Diese alte Jungfer schien ja ganz wahllos jeden Verbrecher bei sich aufzunehmen, ohne auch nur seine Geschichte zu kennen. Den Enno Kluge zum Beispiel hatte sie nicht einmal nach seinem Namen gefragt, sie hatte ihn versteckt, bloß weil eine Freundin ihn angeschleppt hatte.
    Auch diese Frau Häberle würde man sich näher ansehen. Es war ein Jammer mit diesem Volk! Jetzt, wo der größte Krieg für seine glückliche Zukunft geführt wurde, selbst jetzt noch war es widerspenstig. Überall, wo man hinroch, stank es. Kommissar Escherich war fest davon überzeugt, daß er in beinah jedem deutschen Haus solch einen Wust von Heimlichkeiten und Lüge finden würde.
    Fast keiner, der ein reines Gewissen hatte - von den Parteigenossen natürlich abgesehen. Übrigens würde er sich schön hüten, bei Parteigenossen solche Untersuchung wie eben die bei der Schönlein durchzuführen.
    Nun, er hatte jedenfalls den Portier als Wache in die Wohnung gesetzt. Der schien ein ganz verläßlicher Bursche zu sein, übrigens auch Parteimitglied; man mußte mal sehen, daß er irgendeinen kleinen gutbezahlten Posten bekam. Das machte solche Leute munter und schärfte ihnen Blick und Gehör. Belohnen und Bestrafen, das war die beste Art

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