Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
andern neben sich wie einen schwärzeren Klumpen in all dem Nachtdunkel.
    «Ja, mit Absicht», kicherte der Kleine.
    «Das war ein Mordversuch!» sagte der Kommissar.
    «Aber du hast doch gesagt, die Waffe ist gesichert!»
    Jetzt war dem Kommissar ganz gewiß, daß seinen Augen nichts geschehen war.
    «Ich werde dich ins Wasser schmeißen, du Lump! Das ist dann nur Notwehr!» Und er packte den Kleinen bei der Schulter.
    «Nein, nein, bitte nicht! Bitte das nicht! Ich werde das andere auch bestimmt tun! Nur nicht ins Wasser! Du hast es mir heilig versprochen ...»
    Der Kommissar hatte ihn bei der Schulter gepackt.
    «Ach was! Jetzt keine Winseleien mehr! Du hast doch nie die Courage dazu! Ins Wasser ...!»
    »
    Zwei Schüsse fielen rasch hintereinander. Der Kommissar fühlte, wie der Mann zwischen seinen Fäusten zusammenfiel, er sackte in sich, unaufhaltsam. Einen Augenblick machte Escherich eine Bewegung, als er den Toten über den Stegrand ins Wasser rutschen sah. Seine Hände wollten ihn noch halten.
    Und achselzuckend sah der Kommissar zu, wie der schwere Körper ins Wasser klatschte und sofort verschwand.
    Besser so! sagte er sich und befeuchtete die trockenen Lippen. Weniger Verdachtsmaterial.
    Einen Augenblick stand er noch, zweifelnd, ob er die auf dem Steg liegende Pistole ins Wasser stoßen sollte oder nicht. Dann ließ er sie liegen. Er ging langsam vom Bootssteg, den Uferhang hinan, nach dem Bahnhof zu.
    Der Bahnhof war geschlossen, der letzte Zug abgefah-ren. Der Kommissar schickte sich gleichmütig an, den weiten Weg nach Berlin unter seine Füße zu nehmen.
    Eben fing die Uhr wieder an zu schlagen.
    Mitternacht, dachte der Kommissar. Er hat's geschafft.
    Mitternacht. Bin neugierig, wie ihm sein Friede gefallen wird, wirklich neugierig. Ob er sich wieder betrogen vorkommt? Aas, kleines, winselndes Aas!

Dritter Teil
    Das Spiel steht gegen die Quangels

Trudel Hergesell
    Die Hergesells fuhren mit dem Zuge von Erkner nach Berlin. Jawohl, es gab keine Trudel Baumann mehr, Karls andauernde Liebe hatte gesiegt, sie hatten geheiratet, und jetzt, im Jahre des Unheils 1942, war Trudel im fünften Monat schwanger.
    Mit der Heirat hatten die beiden auch ihre Arbeit in der Uniformfabrik abgegeben - nach dem bedrückenden Erlebnis mit Grigoleit und dem Säugling hatten sie sich dort nie mehr wohl gefühlt. Er arbeitete jetzt bei einer chemischen Fabrik in Erkner, während Trudel als Hausschneide-rin ein paar Mark dazuverdiente. Mit leiser Scham dachten sie an die Zeit ihrer illegalen Betätigung zurück. Beide waren sie sich völlig klar darüber, daß sie versagt hatten; beide aber wußten sie jetzt auch, daß sie sich für eine derartige Tätigkeit, die eine völlige Zurückstellung des eigenen Ichs erforderte, nicht eigneten. Jetzt lebten sie nur noch für ihr häusliches Glück und genossen die Vorfreude auf das zu erwartende Kind.
    Als sie Berlin verließen und nach Erkner hinauszogen, hatten sie gemeint, dort in völliger Ruhe leben zu können.
    Wie viele Großstädter hatten sie sich dem sehr irrigen Glauben hingegeben, die Bespitzelung sei nur in Berlin so schlimm, auf dem Lande, in einer kleinen Stadt herrsche noch Anstand. Und wie viele Großstädter hatten sie erfahren müssen, daß gerade das Denunziantentum, das Aus-horchen und Bespitzeln in einer kleinen Stadt noch zehnmal schlimmer waren als in der Großstadt. In der Kleinstadt konnte man nie untertauchen in der Masse, jeder war klar übersichtlich, seine persönlichen Verhältnisse wurden rasch bekannt, Gesprächen mit Nachbarn war kaum aus dem Wege zu gehen, und wie solche Gespräche entstellt werden konnten, das hatten sie schon ein paarmal mit Kummer erfahren müssen.
    Da sie beide der NSDAP nicht angehörten, da sie beide sich bei allen Sammlungen nur mit dem geringstmöglichen Betrage beteiligten, da sie beide die Neigung zeigten, ganz allein für sich zu leben, da sie beide lieber lasen, als daß sie in eine Versammlung gingen, da Hergesell mit seinen dunklen, langen, immer verwirrten Haaren und seinen glühenden schwarzen Augen wie ein richtiger Sozialist und Pazifist aussah (nach Ansicht der Pgs), da Trudel einmal gesagt hatte, die Juden müßten einem leid tun - galten sie in kurzer Zeit für politisch verdächtig, und jeder ihrer Schritte wurde überwacht, jedes ihrer Worte überbracht.
    Hergesells litten unter der Atmosphäre, in der sie in Erkner leben mußten. Aber sie redeten sich ein, daß sie sich nichts daraus machten und daß ihnen

Weitere Kostenlose Bücher