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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Noah seinen Jüngsten damit in die Arche geschoben. Und die alte Frau hatte dafür ein Pfund Butter und ein Pfund Speck verlangt. Mit einer unbegreiflichen Hartnäckigkeit war sie dabei geblieben, daß «ihr da auf dem Lande doch alles habt! Ihr sitzt doch mittendrin in den Fettigkeiten!»
    Es war eine glatte Unverschämtheit, was die Leute einem alles zumuteten. Umsonst versicherte Hergesell, daß Erkner alles andere als Land sei und daß sie dort nicht ein einziges Gramm Fett mehr bekämen als in Berlin. Er sei außerdem ein einfacher Arbeiter und nicht in der Lage, Hamsterpreise zu zahlen.
    «Ja, glauben Sie denn», hatte die Frau gesagt, «ich wür-de mich von so 'nem Stück trennen, wo ich meine beiden Kinder drin liegen gehabt, wenn ich nicht was Schönes dafür kriege? Sie wollen mir wohl ein paar lumpige Mark auf den Tisch legen? Nee, danke, lieber Herr, für so was müssen Sie sich eine Dümmere suchen!»
    Hergesell, der den Wagen um fünfzig Mark nicht genommen hätte, dieses hochrädrige, in seinen Federn schwankende Biest, blieb dabei, es sei eine Unverschämtheit. Außerdem mache sie sich strafbar, es sei verboten, Fett im Austausch gegen Ware zu fordern.
    «Strafbar!» Die alte Frau pfiff verächtlich durch die Na-se. «Strafbar! Versuchen Sie es doch mal mit einer Anzeige, junger Mann! Mein Mann ist Hauptwachtmeister bei der Polizei, für uns gibt's nichts Strafbares. Und nu machen Sie nur schnell, daß Sie aus meiner Wohnung kommen. Ich lasse mich nicht in meiner eigenen Wohnung anschreien! Ich zähle bis drei, und wenn Sie dann nicht raus sind, ist es Hausfriedensbruch, und ich zeige Sie an!»
    Nun, Karl Hergesell hatte ihr noch ordentlich seine Meinung gesagt, ehe er gegangen war. Er hatte ihr genau auseinandergesetzt, was er von solchen Ausbeutern, die sich an der Notlage vieler Deutscher mästen wollten, dachte. Dann war er gegangen, aber er hatte sich immer noch weiter geärgert.
    Und in diesen frischen Ärger war sein Zusammentreffen mit Grigoleit gefallen, mit einem Mann aus jener Zeit, da sie noch kämpften für eine bessere Zukunft.
    «Na, Grigoleit», hatte Hergesell gesagt, als die lange Gestalt mit der hohen, zurückfliehenden Stirn, beladen mit zwei Handkoffern und einer Aktentasche, ihm da in den Weg lief. «Na, Grigoleit, auch mal wieder in Berlin?» Er packte einen Handkoffer. «Donnerwetter, ist das Dings aber schwer! Du willst doch zum Alex? Da will ich auch hin, ich trag dir den Koffer solange.»
    Grigoleit lächelte dünn. «Na schön, Hergesell, ist nett von dir. Ich sehe, du bist noch immer der alte, hilfreiche Genosse. Was machst du denn? Und was macht das kleine hübsche Mädchen von damals - wie hieß sie doch?»
    «Trudel - Trudel Baumann. Ich habe das kleine hübsche Mädchen von damals übrigens geheiratet, und wir erwarten jetzt ein Kind.»
    «Das war ja wohl nicht anders zu erwarten. Besten Glückwunsch.» Die veränderten Lebensumstände der Hergesells schienen Grigoleit nicht sonderlich zu interessieren - und für Karl Hergesell waren sie doch eine ständig sprudelnde Quelle immer neuen Glücks.
    «Und was machst du, Hergesell?» fragte Grigoleit weiter.
    «Ich? Du meinst, was ich arbeite? Wieder als Elektrotechniker bei einer chemischen Fabrik in Erkner.»
    «Nein, ich meine, was du wirklich tust, Hergesell - für unsere Zukunft.»
    «Nichts, Grigoleit», antwortete Hergesell und fühlte plötzlich so etwas wie Schuld. Er sagte erklärend: «Sieh mal, Grigoleit, wir sind jung verheiratet und leben nur für uns. Was geht uns die Welt draußen an, die mit ihrem Scheißkrieg? Jetzt sind wir glücklich, daß wir ein Kleines haben werden. Sieh mal, Grigoleit, das ist doch auch etwas. Wenn wir uns bemühen, anständig zu bleiben und unser Kind zu einem anständigen Menschen zu erziehen ...»
    «Wird euch verdammt schwerfallen in dieser Welt, die uns die braunen Herren zurichten! Na, laß man, Hergesell, von euch war nie was anderes zu erwarten. Ihr habt immer mehr mit dem Unterleib als mit dem Kopf gedacht!»
    Hergesell lief vor Zorn rot an. Die Verachtung, mit der Grigoleit sprach, war nicht mehr zu überbieten. Und dabei schien er sich nicht einmal etwas Beleidigendes gedacht zu haben, denn er fuhr, ohne die Erregung des andern zu bemerken, ganz gleichmütig fort: «Ich mach weiter, und der Säugling macht auch weiter. Nein, nicht hier i n Berlin. Jetzt sitzen wir sehr viel weiter westlich, das heißt, ich sitze nie, ich bin dauernd unterwegs, ich gebe so eine Art Kurier

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