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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Wie ich können dich andere beobachtet haben. Weiß die Mutter davon, daß du so was tust? Tust du es öfters?»
    Er schwieg so lange, daß sie schon meinte, er wolle ihr gar nicht antworten. Aber dann sagte er: «Du weißt doch, Trudel, ich tu nichts ohne die Mutter.»
    «Oh!» rief sie, und Tränen traten in ihre Augen. «Das habe ich gefürchtet. Du reißt auch Mutter herein.»
    «Mutter hat ihren Sohn verloren. Das hat sie noch nicht verschmerzt - vergiß das nicht, Trudel!»
    Ihre Wangen färbten sich rot, als habe er ihr einen Vorwurf gemacht. «Ich glaub nicht», murmelte sie, «daß Ottochen einverstanden wäre, wenn er seine Mutter bei so was sähe.»
    «Jeder geht seinen Weg, Trudel», antwortete Otto Quangel kalt. «Du deinen, wir unsern. Ja, wir gehen unsern Weg.» Er warf den Kopf ruckartig zurück und wieder vor, es war, als hackte der Vogel. «Und jetzt müssen wir uns trennen. Mach es gut, Trudel, mit deinem Kindchen.
    Ich werde die Mutter grüßen von dir - vielleicht.»
    Er war schon gegangen.
    Dann kam er noch einmal zurück. «Die Karte da», sagte er, «die behältst du nicht in der Tasche, verstehst du? Die legst du irgendwohin, wie ich es gemacht habe. Und deinem Mann sagst du kein Wort davon, versprichst du mir das, Trudel?»
    Sie nickte leise, sie sah ihn nur angstvoll an.
    «Und dann vergißt du uns. Du vergißt alles von den Quangels; wenn du mich wieder einmal siehst, kennst du mich nicht, verstanden?»
    Wieder konnte sie nur nicken.
    «Also, mach's gut», sagte er noch einmal und war nun wirklich gegangen, und sie hätte ihm doch noch so vieles zu sagen gehabt.
    Als Trudel die Karte Otto Quangels ablegte, empfand sie alle Ängste eines Verbrechers, der fürchtet, ertappt zu werden. Sie hatte sich nicht entschließen können, die Karte weiterzulesen. Tragisches Schicksal auch dieser Karte Otto Quangels, von einem befreundeten Menschen aufgefunden, auch sie verfehlte ihre Wirkung. Auch sie war umsonst geschrieben, auch bei ihr hatte die Empfängerin nur den einen Wunsch, sie möglichst schnell wieder loszuwerden.
    Als Trudel die Karte auf genau dem gleichen Fensterbrett abgelegt hatte, wo es Otto Quangel getan (es wäre ihr überhaupt nicht der Gedanke gekommen, daß ein anderer Platz dafür in Frage kam), eilte sie rasch die letzten Stufen hinauf und klingelte bei jenem Anwaltsbüro, für dessen Sekretärin sie ein Kleid gearbeitet hatte - aus einem in
    Frankreich gestohlenen Stoff, der von einem Freund beim SD der Sekretärin geschickt worden war.
    Beim Anprobieren wurde der Trudel heiß und kalt, plötzlich war ihr schwarz vor den Augen. Sie mußte sich im Zimmer des Anwalts - er war auf einem Termin - hinlegen und später einen Kaffee trinken, richtigen, guten Bohnenkaffee (in Holland von einem andern Freund bei der SS gestohlen).
    Aber während das gesamte Büropersonal sich rührend um sie bemühte - ihr Zustand war unschwer zu erkennen, weil sie die ganze Last «vorne» trug -, währenddem dachte Trudel Hergesell: Er hat recht, ich darf Karl nie etwas davon sagen. Wenn es nur dem Kindchen nichts schadet, es hat mich doch schrecklich aufgeregt. Ach, Vater sollte so etwas nicht machen! Denkt er denn gar nicht daran, in wieviel Not und Angst er die Leute damit stürzt? Das Leben ist doch so schon schwer genug!
    Als sie endlich wieder die Treppen hinabstieg, war die Karte verschwunden. Sie atmete erleichtert auf, aber diese Erleichterung hielt nicht an. Sondern sie konnte es nicht lassen, sie mußte darüber nachdenken, wer jetzt wohl die Karte gefunden haben mochte, ob der auch solchen Schreck wie sie darüber bekommen hatte, was er mit der Karte anfing. Immerzu kreisten ihre Gedanken darum.
    So leicht ging sie nicht zum Alexanderplatz zurück, wie sie
    hergegangen war. Sie hatte eigentlich noch einige Besorgungen machen wollen, aber sie fühlte sich dazu nicht imstande. Sie setzte sich ganz still in den Wartesaal und hoffte nur, daß Karl bald kommen möge. Wenn erst Karl da war, würde der Schreck, der ihr immer noch in den Gliedern saß, vergehen - auch wenn sie ihm nichts sagte.
    Schon sein Da-Sein würde das bewirken ...
    Sie lächelte und schloß die Augen.
    Guter Karl! dachte sie. Mein Einziger ...!
    Sie schlief ein.

Karl Hergesell und Grigoleit
    Karl Hergesell hatte das Tauschgeschäft mit dem Kinderwagen nicht machen können, nein, er hatte sich lebhaft darüber geärgert. Der Kinderwagen war zwanzig, fünfundzwanzig Jahre alt, ein vorsintflutliches Modell, vermutlich hatte

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