Jeder stirbt für sich allein
genannt, verstehst du, viele Leute heißen ja wirklich Schmidt.»
«Ja, und ich habe dich vor ihm angeredet», rief Anna erschrocken. «Das muß dem doch aufgefallen sein.»
Quangel blieb betroffen stehen. «Wahrhaftig», sagte er,
«daran habe ich noch gar nicht gedacht! Aber es scheint ihm doch nicht aufgefallen zu sein. Die Straße ist leer.
Keiner geht hinter uns her. In der Von-Einem-Straße wird er natürlich umsonst suchen, aber dann sitzen wir längst bei Heffkes.»
Anna blieb stehen. «Weißt du, Otto», sagte sie, «jetzt bin ich es, die sagt: Gehen wir lieber heute nicht zu Ulrich.
Jetzt habe ich das Gefühl, es ist heute ein schlechter Tag.
Laß uns nach Haus fahren. Die Karten bringe ich morgen fort.»
Aber er schüttelte lächelnd den Kopf. «Nein, nein, An-na, wo wir einmal so weit sind, wollen wir den Besuch auch hinter uns bringen. Wir haben doch ausgemacht, es soll unser letzter sein. Und außerdem möchte ich nicht gerade jetzt auf den Nollendorfplatz gehen. Womöglich treffen wir wieder den Arzt.»
«Dann gib mir wenigstens die Karten! Ich mag nicht, daß du jetzt mit diesen Karten in der Tasche herumläufst!»
Nach anfänglichem Widerstreben händigte er ihr die beiden Postkarten aus.
«Es ist wirklich kein guter Sonntag, Otto ...»
Die dritte Warnung
Aber dann bei den Heffkes vergaßen sie ganz ihre schlimmen Vorahnungen. Es zeigte sich, daß sie dort wirklich erwartet worden waren. Auch die dunkle, schweigsame Schwägerin hatte Kuchen gebacken, und nachdem die beiden Kuchen zum Muckefuck gegessen waren, brachte Ulrich Heffke eine Flasche Schnaps zum Vorschein, die ihm die Kollegen im Betrieb geschenkt hatten.
Sie tranken langsam und mit Genuß in kleinen Gläsern das ihnen allen ungewohnte Getränk und es bewirkte, daß sie lebhafter als sonst wurden, gesprächiger. Schließlich -
nun war die Flasche schon leer - fing der kleine Buckel mit den sanften Augen an zu singen. Er sang Kirchenlieder, Choräle: «Es kostet viel, ein Christ zu sein» und
«Zeuch ein zu deinen Toren, sei meines Herzens Gast» -
durch alle dreizehn Strophen.
Er sang sie in einem ganz hohen Falsett, es klang klar und fromm, und sogar Otto Quangel fühlte sich in seine
Kindertage zurückversetzt, als solche Lieder ihm noch etwas bedeutet hatten, da er schlicht gläubig gewesen war.
Damals war das Leben noch einfach gewesen, er hatte nicht nur an Gott geglaubt, sondern auch an die Menschen. Er hatte geglaubt, daß Sprüche wie «Liebe deine Feinde» und «Gesegnet seien die Friedfertigen», daß solche Sprüche auf der Erde Gültigkeit besaßen. Es war sehr anders seitdem geworden, und bestimmt nicht besser. An Gott konnte niemand mehr glauben; es war unmöglich, daß ein gütiger Gott solche Schande, wie sie heute auf der Welt war, zuließ, und was die Menschen anging, diese Schweine ...
Der bucklige Ulrich Heffke sang ganz hoch und rein:
«Du bist ein Mensch, das weißt du wohl, was strebst du denn nach Dingen .»
Aber zum Abendessen zu bleiben, lehnten Quangels schlichtweg ab. Ja, es sei sehr schön gewesen, aber nun müßten sie unbedingt nach Haus. Otto habe noch etwas zu erledigen. Und es gehe ja schon nicht wegen der Lebensmittelkarten, sie wüßten doch auch, wie das wäre. Allen Versicherungen der Heffkes zum Trotz, einmal gehe das schon, man feiere ja nicht jeden Sonntag Geburtstag, und es sei wirklich alles vorbereitet, sie sollten nur selbst in
die Küche sehen - all diesen Versicherungen zum Trotz blieben die Quangels dabei, sie müßten gehen.
Und sie gingen auch wirklich, obwohl die Heffkes entschieden gekränkt waren. Auf der Straße sagte Anna:
«Hast du gesehen, der Ulrich ist eingeschnappt und seine Frau auch ...»
«Laß sie ruhig eingeschnappt sein! Dies war ja sowieso unser letzter Besuch!»
«Aber es war diesmal sehr nett, das findest du doch auch, Otto?»
«Sicher. Bestimmt. Der Schnaps hat viel dazu getan ...»
«Und Ulrich hat so schön gesungen - fandest du es nicht auch schön?»
«Ja, sehr schön. Ein komischer Peter. Ich bin sicher, er betet jeden Abend noch zum lieben Gott.»
«Laß ihn doch, Otto! Solche Frommen haben es heutzutage leichter. Sie haben doch einen, an den sie sich mit ihren Sorgen wenden können. Und sie glauben, daß all dieses Morden einen Sinn hat.»
«Danke!» sagte Quangel plötzlich böse. «Sinn! Das ist doch alles Unsinn! Weil die an den Himmel glauben, wollen sie auf der Erde nichts ändern. Immer nur kriechen und sich
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