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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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gehen!»
    «Haste recht, Mutta!» sagte eine tiefe Stimme aus dem Zuschauerkreis. «Bei die Brüder weeß man nie - paß mal uff uff dei nen Juten!»
    «Ruhe!» schrie der Wachtmeister. «Ruhe! Zurücktre-ten! Auseinandergehen! Hier gibt's gar nichts zu sehen!»
    Aber das Publikum war anderer Ansicht, und der Schupo, der einsah, daß er unmöglich auf drei Menschen aufpassen und eine Menge von annähernd fünfzig Passanten zerstreuen konnte, gab es auf, die Leute zum Auseinandergehen aufzufordern.
    «Irren Sie sich wirklich nicht?» fragte er den aufgeregten Angeber. «War denn auch die Frau dabei auf der Treppe?»
    «Nein, die war nicht dabei. Aber ich irre mich bestimmt nicht, Herr Wachtmeister!» Er fing wieder an zu schreien.
    «Mit meinen eigenen Augen habe ich ihn gesehen, schon
    drei Stunden hatte ich am Guckloch in meiner Tür gesessen .»
    Eine schrille Stimme rief mißbilligend: «So ein verdammter Achtgroschenjunge!»
    «Also kommen Sie alle drei mit!» entschied der Wachtmeister. «Gehen Sie doch auseinander! Sie sehen doch, die Herrschaften wollen durchgehen! So 'ne blöde Neugierde! Ja, bitte, da lang, mein Herr!»
    Auf dem Revier mußten sie fünf Minuten warten, ehe sie in das Zimmer des Vorstehers gerufen wurden, eines großen Mannes mit einem gebräunten, offenen Gesicht.
    Die Karte Quangels lag auf seinem Schreibtisch.
    Der Ankläger wiederholte seine Beschuldigungen.
    Otto Quangel widersprach. Er hatte nur seinen Schwager in der Goltzstraße besucht, nie hatte er ein Haus in der Maaßenstraße betreten. Er sprach ohne jede Erregung, dieser alte Werkmeister, als der er sich auch auswies, er war ein auch dem Vorsteher wohltuender Gegensatz zu dem schreienden, stets aufgeregten, spuckenden Ankläger.
    «Sagen Sie mal», sagte der Vorsteher langsam zu dem, «wieso haben Sie eigentlich drei Stunden hinter dem
    Guckloch gestanden? Sie konnten doch gar nicht wissen, daß jemand mit solcher Karte kam. Oder?»
    «Ach, da wohnt doch solche Nutte in unserm Haus, Herr Vorsteher! Läuft immer in Hosen rum, läßt die ganze Nacht das Radio laufen - da wollte ich aufpassen, was die für Kerle in die Wohnung schleppt. Und da kam dieser Mann .»
    «Bin nie in dem Haus gewesen», wiederholte Quangel hartnäckig.
    «Wie soll mein Mann dazu kommen, solche Sachen zu machen? Glauben Sie, ich würde das zugeben?» rief Anna dazwischen. «Wo wir über fünfundzwanzig Jahre verheiratet sind, und nie hat was gegen meinen Mann vorgelegen!»
    Der Vorsteher warf einen flüchtigen Blick auf das starre Vogelgesicht. Zuzutrauen ist dem schon allerhand! schoß es ihm flüchtig durch den Kopf. Aber daß er solche Karten schreibt?
    Er wandte sich dem Ankläger zu: «Wie heißen Sie? Millek? Sie sind doch irgendwas bei der Post, stimmt's?» «Oberpostsekretär, Herr Vorsteher. Es stimmt.» «Und Sie sind doch der Millek, von dem wir in der Woche durchschnittlich zwei Anzeigen bekommen, daß die Kaufleute schlecht wiegen, daß am Donnerstag Teppiche geklopft worden sind, daß jemand sein Geschäft vor Ihrer Tür gemacht hat und so weiter und so weiter. Das sind Sie doch?»
    «Die Menschen sind ja so schlecht, Herr Vorsteher! Alles tun sie mir zum Tort! Glauben Sie mir, Herr Vorsteher ...»
    «Und heute nachmittag haben Sie also auf eine Frau aufgepaßt, die Sie als Nutte bezeichnen, und jetzt zeigen Sie diesen Herrn an ...»
    Der Oberpostsekretär versicherte, daß er nur seine Pflicht tue. Er habe diesen Mann die Postkarte ablegen sehen, und da ihn ein Blick auf das Geschriebene belehrte, daß hier Hochverrat vorliege, sei er dem Manne sofort nachgeeilt.
    «Soso!» sagte der Vorsteher. «Einen Augenblick mal ...»
    Er setzte sich an seinen Schreibtisch und tat, als lese er die Karte noch einmal, die er doch schon dreimal gelesen hatte. Er dachte nach. Er war der Überzeugung, daß dieser Quangel ein alter Arbeiter war, dessen Angaben stimmten, der Millek dagegen ein Querulant, dessen Denunziationen sich noch nie bewahrheitet hatten. Am liebsten hätte er die drei nach Haus geschickt.
    Aber immerhin war da diese Karte gefunden worden, darum war nicht herumzukommen, und es lag nun einmal der strenge Befehl vor, auch der kleinsten Spur nachzugehen. Der Vorsteher wollte sich keine Läuse in den Pelz setzen. Sehr gut war er oben sowieso nicht angeschrieben.
    Er war der Gefühlsduselei verdächtig, im geheimen sollte er mit Asozialen und Juden sympathisieren. Er mußte sehr vorsichtig sein. Und im Grunde, was geschah dieser Frau und

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