Jeder stirbt für sich allein
diesem Manne Übles, wenn er sie der Gestapo übergab? Waren sie unschuldig, würde man sie nach ein paar Stunden wieder laufenlassen; der falsche Angeber aber würde eins aufs Dach bekommen wegen der unnützen Arbeit, die er verursacht hatte.
Er wollte schon Kommissar Escherich anrufen, da fiel ihm etwas ein. Er klingelte und sagte zu dem eintretenden Schupo: «Nehmen Sie die beiden Herren mal nach vorne und filzen Sie sie gründlich durch. Passen Sie aber auf, daß die Sachen nicht durcheinanderkommen. Und dann schicken Sie mir einen Mann rein, ich werde mal hier die Frau durchsuchen!»
Aber auch diese Durchsuchungen waren ergebnislos, es wurde nichts Quangel Belastendes gefunden. Anna Quangel dachte mit einem erleichterten Aufatmen an die Karte im Postkasten. Otto Quangel, der von dieser eiligen, gei-stesgegenwärtigen Aktion seiner Frau noch nichts wußte, dachte: Die Anna ist aber tüchtig. Wo sie bloß mit der Karte geblieben ist? Ich war doch immer an ihrer Seite!
Auch Quangels Papiere bestätigten seine sämtlichen Angaben.
Dagegen hatte man in der Tasche des Millek eine fertige, an das Revier gerichtete Anzeige gefunden gegen eine gewisse Frau von Tressow, Maaßenstraße 17 wohnhaft, die ihren bissigen Hund trotz Leinenzwangs frei herumlaufen lasse. Schon zweimal habe der Hund den Oberpostsekretär bösartig angeknurrt. Er fürchte für seine Hosen, die jetzt im Kriege unersetzbar seien.
«Sie haben Sorgen, Mann!» sagte der Vorsteher. «Jetzt, im dritten Kriegsjahr! Denken Sie, wir haben nichts anderes zu tun? Warum gehen Sie nicht einmal selbst an die Dame heran und bitten sie höflich, den Hund an die Leine zu nehmen?»
«So was tu ich nicht, Herr Vorsteher! Eine Dame in der Nacht auf der Straße ansprechen - nein! Nachher werde ich von ihr wegen Unsittlichkeit angezeigt!»
«Also, Wachtmeister, bringen Sie die drei erst mal nach vorne. Ich möchte jetzt telefonieren.»
«Bin ich etwa auch verhaftet?» rief der Oberpostsekretär Millek zornig. «Ich habe Ihnen eine wichtige Anzeige gemacht, und Sie verhaften mich! Ich werde eine Anzeige machen!»
«Hat denn ein Mensch ein Wort von Verhaften gesagt?
Wachtmeister, nehmen Sie die drei mit nach vorne!»
«Sie haben mir die Taschen wie bei einem Verbrecher ausleeren lassen!» schrie der Oberpostsekretär wieder. Da schlug die Tür hinter ihm zu.
Der Vorsteher nahm das Telefon, wählte und meldete sich. «Ich möchte den Kommissar Escherich sprechen», sagte er. «Wegen der Postkartengeschichte.»
«Kommissar Escherich ist aus, ex, perdu!» rief eine freche Stimme in sein Ohr. «Kriminalrat Zott bearbeitet jetzt diesen Fall!»
«Dann geben Sir mir Herrn Kriminalrat Zott - falls er heute am Sonntagnachmittag erreichbar ist.»
«Ach, der doch immer! Ich gebe Ihnen den Kriminalrat!»
«Hier Zott!»
«Hier Reviervorsteher Kraus. Herr Kriminalrat, bei uns ist eben ein Mann eingeliefert worden, der mit dieser Postkartenaffäre zu tun haben soll - Sie sind im Bilde?»
«Weiß schon! Der Fall Klaubautermann. Was ist der Mann von Beruf?»
«Tischler. Werkmeister in einer Möbelfabrik!»
«Dann haben Sie den Falschen erwischt! Der Richtige ist bei der Straßenbahn! Lassen Sie den Mann laufen, Vorsteher! Schluß!»
So kamen Quangels wieder auf freien Fuß, sehr zu ihrer eigenen Überraschung, denn mit ein paar gründlichen Verhören und einer Haussuchung hatten sie gerechnet.
Der Herr Kriminalrat Zott
Der Kriminalrat Zott, mit Spitzbart und Spitzbauch, ein Männchen wie aus den Geschichten des Ernst Theodor Amadeus Hoffmann, ein Geschöpf wie zusammengebraut aus Papier, Aktenstaub, Tinte und viel Scharfsinn, war in früheren Zeiten eine recht lächerliche Figur unter den Kriminalisten Berlins gewesen. Er verschmähte die üblichen Methoden, er machte fast nie eine Vernehmung, und der Anblick eines Ermordeten machte ihn krank.
Am liebsten saß er über den Akten der andern, verglich, schlug nach, machte seitenlange Exzerpte - und sein Stek-kenpferd war es, sich über alles Tabellen anzulegen, endlose, minuziös durchdachte Tabellen, aus denen er seine scharfsinnigen Schlüsse zog. Da Kriminalrat Zott mit seiner Methode, nur seinen Kopf arbeiten zu lassen, einige überraschende Erfolge erzielt hatte in Fällen, die ganz ohne Hoffnung schienen, hatte man sich daran gewöhnt, ihm alle aussichtslosen Sachen zuzuschanzen - wenn Zott nichts herausholte, fand keiner was.
An sich war also der Vorschlag Kommissar Escherichs, den Fall Klabautermann an den
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