Jeder stirbt für sich allein
drücken! Im Himmel wird ja alles wieder gut.
Gott weiß ja, warum es geschieht. Am Jüngsten Tag werden wir das alles schon erfahren! Nein, danke.»
Quangel hatte hastig und sehr böse gesprochen. Der ungewohnte Alkohol tat seine Wirkung in ihm. Plötzlich blieb Quangel stehen. «Das ist das Haus!» sagte er plötzlich. «Da will ich rein! Gibt mir eine Karte, Anna!»
«O nein, Otto. Tu das nicht! Wir hatten doch abgemacht, heute wollen wir nichts mehr tun. Es ist doch ein schlechter Tag heute!»
«Nicht mehr, jetzt nicht mehr. Gib die Karte, Anna!»
Sie gab sie ihm zögernd. «Wenn es nur nicht schiefgeht, Otto. Ich habe solche Angst ...»
Aber er achtete nicht auf ihre Worte, er war schon gegangen.
Sie wartete. Doch diesmal brauchte sie sich nicht lange zu ängstigen, Otto kam schnell wieder.
«So», sagte er und hakte sie unter. «Das wäre erledigt.
Siehst du, wie einfach das ging? Man soll auf diese Vorahnungen nichts geben.»
«Gottlob!» sagte Anna.
Aber sie hatten kaum die paar Schritte zum Nollendorfplatz hin gemacht, da stürzte ein Herr auf sie zu. In der Hand hielt er die Quangelsche Karte.
«Sie! Sie!» schrie er wahnsinnig aufgeregt. «Sie haben da eben diese Karte bei mir auf den Flur gelegt! Ich hab Sie genau gesehen! Polizei! Hallo! Schutzmann!»
Und er schrie immer lauter. Die Menschen liefen um sie zusammen, ein Schupo kam eilig über den Damm.
Es war kein Zweifel: das Spiel stand plötzlich gegen die Quangels. Nachdem der Werkmeister über zwei Jahre lang erfolgreich gearbeitet hatte, war plötzlich das Glück gegen ihn. Ein Mißerfolg nach dem andern. Hierin behielt der ehemalige Kommissar Escherich recht: man kann nicht immer mit Glück spielen, man muß auch das Un-glück einkalkulieren. Das hatte Otto Quangel vergessen.
Er hatte nie an die kleinen, widrigen Zufälle gedacht, die das Leben stets bereithält, die man nicht voraussehen kann und mit denen man doch rechnen muß.
In diesem Fall war der Zufall in der Gestalt eines kleinen, rachsüchtigen Beamten aufgetreten, der seinen freien Sonntag dazu benutzt hatte, die Mieterin über ihm zu bespitzeln. Er hatte einen Zorn auf sie, weil sie morgens lange schlief, stets in Männerhosen herumlief und abends bis lange nach Mitternacht das Radio laufenließ. Er hatte sie im Verdacht, «Kerle» in ihre Wohnung mitzunehmen.
Wenn das stimmte, würde er sie im ganzen Hause unmöglich machen. Er würde zum Wirt gehen und ihm sagen, daß solche Nutte unmöglich weiter in einem anständigen Hause wohnen könne.
Er hatte schon über drei Stunden geduldig hinter dem Guckloch der Tür gelauert, als statt seiner Obermieterin Otto Quangel die Treppe hinaufgekommen war. Er hatte gesehen, mit seinen eigenen Augen hatte er es gesehen, wie Quangel die Karte auf einer Treppenstufe niederlegte
- er tat das manchmal, wenn die Treppenfenster keine Fensterbänke hatten.
«Ich habe es gesehen, mit meinen eigenen Augen habe ich es gesehen!» schrie der Aufgeregte den Wachtmeister an und schwenkte die Karte. «Lesen Sie hier bloß mal, Herr Wachtmeister! Das ist ja Hochverrat! Der Kerl ge-hört an den Galgen!»
«Schreien Sie bloß nicht so!» sagte der Schupo
mißbilligend. «Sie sehen doch, der andere Herr ist ganz ruhig. Der läuft schon nicht weg. Nun, war es so, wie der Herr sagt?»
«Blödsinn!» antwortete Otto Quangel böse. «Er hat mich verwechselt. Ich habe eben meinen Schwager zum Geburtstag besucht, in der Goltzstraße. Hier in der Maa-
ßenstraße habe ich kein Haus betreten. Fragen Sie mal meine Frau .»
Er sah sich suchend um. Eben drängte sich Anna wieder durch den dichten Kreis der Neugierigen. Sie hatte sofort an die zweite Karte in ihrer Handtasche gedacht. Sie mußte sie auf der Stelle loswerden, das war das Wichtigste. Sie hatte sich durch die Leute geschoben, hatte einen Briefkasten gesehen und ganz unauffällig - alle sahen nur auf den schreienden Ankläger - die Karte in den Kasten gesteckt.
Nun stand sie wieder bei ihrem Mann und lächelte ihm ermutigend zu.
Der Schupo hatte unterdes die Karte gelesen. Sehr ernst geworden, schob er sie unter den Ärmelaufschlag. Er wußte von diesen Karten; jedes Revier war nicht einmal, es war zehnmal auf sie aufmerksam gemacht worden. Die Verfolgung auch der kleinsten Spur war Pflicht.
«Sie kommen alle beide zur Wache mit!» entschied er.
«Und ich?» rief Anna Quangel empört und schob ihren Arm in den ihres Mannes. «Ich gehe auch mit! Ich lasse meinen Mann nicht alleine
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