Jeder stirbt für sich allein
Schnauze schlagen können, was für ein Kamel er ist!»
Der Obergruppenführer ging, vergnügt lächelnd, aus dem Zimmer. Der Kriminalrat Zott, allein gelassen, hüstelte. Er setzte sich hinter seine Tabellen auf dem Schreibtisch, sah schief durch die Brille nach der Tür und hüstelte noch einmal. Er haßte alle diese lauten, hirnlosen Kerle, die nur brüllen konnten. Und diesen da, der eben aus dem Zimmer gegangen war, haßte er noch ganz besonders, diesen blöden Affen, der ihm immer den Escherich vorgehalten hatte. und Und dann hatte er ihn scherzhaft auf die Schulter geschlagen, und dem Kriminalrat war jede körperliche Berührung verhaßt. Nein, dieser Kerl - nun, man mußte die Zeit abwarten. Ganz so sicher saßen auch diese Herren nicht im Sattel, nur schlecht verbargen sie unter ihrem Gebrüll die Angst, eines Tages gestürzt zu werden. So sicher und zackig sie auch auftra-ten, im Innern wußten sie recht gut, daß sie nichts konnten und nichts waren. Einem solchen Flachkopf hatte er seine große Entdeckung von den Straßenbahnhöfen mitteilen müssen, einem Mann, der den Scharfsinn gar nicht würdigen konnte, der dazu gehörte, so etwas herauszufin-den! Perlen vor die Säue - immer das alte Lied!
Dann aber wendet sich der Kriminalrat wieder seinen Akten, seinen Tabellen, den Plänen zu. Er hat einen wohlgeordneten Kopf; er schiebt eine Lade zu und weiß von ihrem Inhalt nichts mehr. Er zieht die Lade Straßenbahnhöfe auf und beginnt, darüber nachzudenken, was der Kartenschreiber wohl für einen Posten bekleiden kann. Er ruft bei der Direktion der Verkehrsbetriebe,
Abteilung Personalamt, an und läßt sich eine endlose Liste von Berufen aller bei der BVG Beschäftigten geben. Ab und zu macht er sich Notizen.
Er ist nur erfüllt von dem Gedanken, daß der Täter etwas mit der Straßenbahn zu tun hat. Er ist so stolz auf diese Entdeckung. Er wäre maßlos enttäuscht, wenn sie ihm jetzt den Quangel als Täter hereinbrächten, diesen Werkmeister aus einer Möbelfabrik. Es wäre ihm ganz egal, daß der Täter nun endlich gefaßt ist, sondern es würde ihn nur schmerzen, daß seine schöne Theorie falsch ist.
Und darum, als ein oder zwei Tage später die Suchaktion sowohl in den Häusern wie auf den Straßenbahnhöfen in vollem Gange ist, als da der Reviervorsteher dem Kriminalrat mitteilt, sie haben vielleicht den Täter, darum fragt er nur nach dem Beruf. Er hört Tischler, und der Mann ist für ihn erledigt. Straßenbahner muß er sein!
Angehängt und erledigt! So vollkommen erledigt, daß der Kriminalrat sich nicht einmal klarmacht, daß dieses Revier am Nollendorfplatz liegt, daß es Sonntag gegen Abend ist und daß am Nollendorfplatz grade wieder einmal eine Karte fällig ist! Nicht einmal die Nummer des Reviers merkt sich der Kriminalrat. Diese Idioten, machen nichts als Dummheiten - erledigt!
Meine Leute werden mir schon Bescheid bringen, morgen,
spätestens übermorgen. Was die Schupo macht, das ist doch meist Mist, das sind eben keine Kriminalisten!
Und so kommen die schon gefaßten Quangels wieder frei
Otto Quangel wird unsicher
Die beiden Quangels sind an diesem Sonntagabend ohne ein Wort nach Hause gefahren, ohne ein Wort haben sie zu Abend gegessen. Frau Anna, die, als es darauf ankam, so mutig und entschlossen gewesen war, hatte in der Küche rasch einige heimliche Tränen geweint, von denen Otto nichts wissen durfte. Jetzt hinterher, da alles ausgestanden war, haben Schrecken und Angst sie erfaßt. Beinahe wäre es schiefgegangen, um ein kleines, und es wäre zu Ende mit ihnen beiden gewesen. Wenn dieser Millek nicht so ein bekannter Querulant gewesen wäre. Wenn sie die Karte nicht hätte loswerden können. Wenn der Vorsteher im Revier ein anderer Mann gewesen wäre - man sah es ihm ja an, daß er diesen Denunzianten nicht ausstehen konnte!
Ja, einmal ist es noch wieder gut gegangen, aber nie, nie darf sich Otto wieder in eine solche Gefahr begeben.
Sie kommt in die Stube, wo ihr Mann ratlos auf und ab geht. Sie brennen kein Licht, aber er hat die Verdunklung hochgezogen, es ist Mondschein.
Otto geht auf und ab, immer noch wortlos.
«Otto!»
«Ja?»
Er bleibt mit einem Ruck stehen und sieht zu der Frau hinüber, die sich in die Sofaecke gesetzt hat, kaum sichtbar in dem fahlen, schwachen Mondlicht, das in die Stube sickert.
«Otto, ich glaube, jetzt machen wir am besten eine Pause. Im Augenblick
Weitere Kostenlose Bücher