Jeder stirbt für sich allein
haben wir kein Glück.»
«Geht nicht», antwortet er. «Geht nicht, Anna. Das würde auffallen, wenn plötzlich keine Karten mehr kommen. Jetzt grade, wo sie uns beinahe erwischt haben, wür-de es besonders auffallen. So dumm sind die auch nicht -
die würden merken, daß da ein Zusammenhang besteht zwischen uns und den Karten, die plötzlich nicht mehr kommen. Wir müssen schon weitermachen, ob wir wollen oder nicht.»
Er setzte hart hinzu: «Und ich will!»
Sie seufzte schwer. Sie hatte nicht den Mut, ihm laut beizustimmen, obwohl sie einsah, er hatte recht. Dies war kein Weg, auf dem man einhalten konnte, wenn man wollte. Es gab kein Zurück, keine Ruhe. Man mußte immer weiter.
Nach einer Weile Nachdenkens sagte sie: «Dann laß mich von jetzt an die Karten fortbringen, Otto. Du hast jetzt kein Glück damit.»
Grollend sagte er: «Ich kann nichts dafür, wenn solch ein Angeber drei Stunden hinter dem Guckloch sitzt. Ich habe mich überall genau umgesehen, ich war vorsichtig!»
«Ich habe nicht gesagt, Otto, daß du unvorsichtig warst.
Ich hab gesagt, du hast jetzt kein Glück. Dafür kannst du nichts.»
Wieder lenkt er ab. «Wo bist du eigentlich mit der zweiten Karte geblieben? Am Leibe versteckt?»
«Das ging nicht, weil doch immer Leute dabei waren.
Nein, Otto, ich habe sie in einen Briefkasten am Nollendorfplatz gesteckt, gleich in der ersten Aufregung.»
«Briefkasten? Sehr gut. Hast du gut gemacht, Anna.
Wir werden in den nächsten Wochen überall, wo wir gerade sind, Karten in die Briefkästen stecken, damit diese eine nicht so auffällt. Briefkästen sind gar nicht so schlecht, auch bei der Post werden nicht nur Nazis sein.
Und das Risiko ist auch geringer.»
«Bitte, Otto, laß mich die Karten von nun an verteilen», bat sie noch einmal.
«Du mußt nicht glauben, Mutter, daß ich einen Fehler gemacht habe, den du hättest vermeiden können. Das sind die Zufälle, vor denen ich mich immer gefürchtet habe, gegen die es keine Vorsicht gibt, weil man sie nicht voraussehen kann. Was kann ich gegen einen Spion tun, der drei Stunden hinter einem Guckloch sitzt? Und du kannst plötzlich krank werden, du fällst nur hin und brichst dir ein Bein - gleich suchen sie deine Taschen nach und finden solch eine Karte! Nein, Anna, gegen die Zufälle gibt es keinen Schutz!»
«Es würde mich so sehr beruhigen, wenn du mir die Verteilung überlassen würdest!» fing sie wieder an.
«Ich sage nicht nein, Anna. Ich will dir die Wahrheit gestehen, ich fühle mich plötzlich unsicher. Es ist mir, als könnte ich stets nur auf einen Fleck starren, auf dem der Gegner nicht sitzt. Und als säßen Feinde überall in meiner Nähe, und ich kann sie nicht sehen.»
«Du bist nervös geworden, Otto. Das geht schon zu lange. Wenn man nur ein paar Wochen damit aufhören könnte! Aber du hast recht, das geht nicht. Aber von jetzt an werde ich die Karten wegbringen.»
«Ich sage nicht nein. Tu's! Ich habe keine Angst, aber du hast recht, ich bin jetzt nervös. Das machen diese Zu-fälle, mit denen ich nie gerechnet habe. Ich habe geglaubt, es genügt, wenn man seine Sache nur ordentlich macht.
Aber es ist nichts damit, man muß auch Glück haben, Anna. Wir haben lange Glück gehabt, jetzt scheint es ein bißchen anders zu kommen ...»
«Es ist ja noch einmal gut gegangen», sagte sie beruhigend. «Es ist nichts geschehen.»
«Aber sie haben unsere Adresse, jederzeit können sie auf uns zurückgreifen! Diese verdammte Verwandtschaft, ich habe immer gesagt, sie taugt nichts.»
«Sei jetzt nicht ungerecht, Otto. Was kann Ulrich dafür?»
«Natürlich kann er nichts dafür! Wer hat was anderes gesagt? Aber wenn er nicht wäre, hätten wir dort keinen Besuch gemacht. Es taugt nichts, sich an Menschen zu hängen, Anna. Das macht alles nur schwerer. Nun sind wir in Verdacht.»
«Wenn wir wirklich in Verdacht wären, hätten sie uns nicht laufenlassen, Otto!»
«Die Tinte!» sagte er, plötzlich stehenbleibend. «Wir haben die Tinte noch im Haus! Die Tinte, mit der ich die Karte
geschrieben habe, und die gleiche Tinte ist hier im Fläschchen!»
Er lief, goß die Tinte in den Ausguß. Hinterher zog er sich an.
«Wohin willst du, Otto?»
«Die Flasche muß aus dem Haus! Wir besorgen morgen eine andere Sorte. Verbrenn unterdes den Federhalter, vor allem auch alte Karten und altes Briefpapier, das wir noch hier haben. Alles muß verbrannt werden! Sieh jedes Schubfach nach. Es darf nichts mehr von all dem Zeug im Haus
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