Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
Vom Netzwerk:
herrscht drüben tiefe Stille, dann sagt die Frau fast flehend: «Aber Vater, die Trudel schläft wirklich in deinem Bett! Ich liege allein, ich habe auch solche Gliederschmerzen ...»
    Er unterbricht sie: «Du sollst mich nicht belügen, Anna.
    Drüben bei euch atmen drei, ich hab's gut gehört. Wer schläft in meinem Bett?»
    Stille, lange Stille. Dann sagt die Frau fest: «Frag nicht so viel. Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß.
    Schweig lieber stille, Otto!»
    Und er unbeugsam: «In dieser Wohnung bin ich der Herr. In dieser Wohnung gibt's keine Geheimnisse vor mir. Weil ich alles zu verantworten habe, darum. Wer schläft in meinem Bett?»
    Lange Stille, lange. Dann sagt eine alte, tiefe Frauenstimme: «Ich, Herr Quangel, Frau Rosenthal. Und Ihre Frau und Sie sollen keine Schwierigkeiten durch mich haben, ich ziehe mich an. Gleich gehe ich wieder rauf!»
    «Sie können jetzt nicht in Ihre Wohnung, Frau Rosenthal. Die Persickes sind oben und noch ein paar Kerls.
    Bleiben Sie jetzt liegen in meinem Bett. Und morgen früh, ganz zeitig, um sechs oder sieben, gehen Sie runter zum alten Rat Fromm und klingeln an seiner Tür im Hochparterre. Der wird Ihnen helfen, er hat's mir gesagt.»
    «Ich danke Ihnen auch schön, Herr Quangel.»
    «Sie können dem Rat danken, mir nicht. Ich setz Sie bloß aus meiner Wohnung. So, und nun kommst du dran, Trudel ...»
    «Ich soll wohl auch raus, Vater?»
    «Ja, du mußt. Das war dein letzter Besuch bei uns, und du weißt auch, warum. Vielleicht, daß Anna dich manchmal besucht, aber ich glaub's nicht. Wenn sie erst zur Vernunft gekommen ist und ich richtig mit ihr geredet habe ...»
    Fast schreiend sagt die Frau: «Das laß ich mir nicht gefallen, dann geh ich auch. Dann kannst du allein bleiben in deiner Wohnung! Du denkst nur an deine Ruhe ...»
    «Richtig!» unterbricht er sie scharf. «Ich will nichts Unsicheres haben, und vor allem will ich nicht in die unsicheren Geschichten von andern reingezogen werden.
    Wenn ich den Kopf hinhalten muß, will ich ihn nicht wegen irgendwelchen Dusseleien von andern hinhalten, sondern weil ich was getan habe, was ich tun wollte. Ich sage nicht, daß ich was tu. Aber wenn ich was tu, so tu ich's nur mit dir allein, mit keinem andern Menschen noch, und wenn es ein noch so nettes Mädel wie die Trudel ist oder 'ne alte, schutzlose Frau wie Sie, Frau Rosenthal. Ich sag nicht, es ist richtig, wie ich's mache. Aber anders kann ich's nicht machen. So bin ich, und ich will auch gar nicht anders sein. So, und jetzt will ich schlafen!»
    Damit legte sich Otto Quangel wieder hin. Drüben tuscheln sie noch leise, aber das stört ihn nicht. Er weiß: sein Wille geschieht doch. Morgen früh ist seine Wohnung wieder
    sauber, und die Anna wird sich auch fügen. Keine wilden Geschichten mehr. Und er allein. Er allein. Nur er!
    Er schläft ein, und wer ihn jetzt schlafen sehen könnte, der würde ihn lächeln sehen, ein grimmiges Lächeln auf diesem harten, trockenen Vogelgesicht, ein grimmiges, kämpferisches Lächeln, doch kein böses.

Was am Mittwochmorgen geschah
    All die zuvor berichteten Ereignisse hatten sich an einem Dienstag zugetragen. Am Morgen des folgenden Mittwochs, sehr früh, zwischen fünf und sechs Uhr, verließ Frau Rosenthal, von der Trudel Baumann begleitet, die Quangelsche Wohnung. Otto Quangel schlief noch fest.
    Die Trudel hatte die unbehilfliche, völlig verängstigte Frau Rosenthal mit dem gelben Stern auf der Brust bis fast an die Frommsche Wohnungstür gebracht. Dann zog sie sich eine halbe Treppe höher zurück, fest entschlossen, die Frau, und sei es mit dem eigenen Leben und der eigenen Ehre, gegen einen etwa herabkommenden Persicke zu verteidigen.
    Trudel beobachtete, wie Frau Rosenthal auf den Klingelknopf drückte. Fast sofort wurde die Tür geöffnet, als habe jemand schon wartend dahinter gestanden. Einige Worte wurden leise gewechselt, dann trat Frau Rosenthal ein, die Tür schloß sich, und Trudel Baumann ging an ihr vorbei auf die Straße. Das Haus war schon offen.
    Die beiden Frauen hatten Glück gehabt. So früh es auch
    war und so sehr Frühaufstehen auch den Gewohnheiten der Persickes widersprach, so hatten doch die beiden SS-Männer keine fünf Minuten früher das Treppenhaus passiert. Um fünf Minuten war eine Begegnung vermieden, die bei der sturen Dummheit und der Brutalität der beiden Burschen nicht anders als verhängnisvoll, zum mindesten für Frau Rosenthal, ausgefallen wäre.
    Auch die beiden

Weitere Kostenlose Bücher