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Jeder stirbt für sich allein

Jeder stirbt für sich allein

Titel: Jeder stirbt für sich allein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Nachmittagsschlaf wie alle
    Sonntage?»
    «Heute ist nicht alle Sonntage. Mit ist es endgültig vorbei.»
    Er stand plötzlich auf und ging aus der Stube.
    Aber heute war sie nicht gesonnen, ihn einfach wieder fortlaufen zu lassen, auf einen seiner geheimnisvollen Gänge, von denen sie doch nie etwas erfuhr. Sie lief ihm nach. «Nein, Otto ...» fing sie an.
    Er stand an der Etagentür, deren Kette er eben vorgelegt hatte. Er hatte die Hand erhoben, um Stille zu gebieten, und lauschte in das Haus hinaus. Dann nickte er und ging an ihr vorbei wieder in die Stube. Als sie zu ihm kam, hatte er seinen Sofaplatz wieder eingenommen, sie setzte sich zu ihm.
    «Wenn's klingelt, Anna», sagte er, «machst du nicht eher auf, als bis ich .»
    «Wer soll denn klingeln, Otto?» fragte sie ungeduldig.
    «Wer soll denn zu uns kommen? Nun sage schon, was du sagen willst!»
    «Ich werd's schon sagen, Anna», antwortete er mit ungewohnter Milde. «Aber wenn du mich drängelst, machst du es mir nur noch schwerer.»
    Sie berührte schnell seine Hand, die Hand dieses Mannes, dem jede Mitteilung dessen, was in seinem Innern vorging, immer wieder schwerfiel. «Ich werde dich schon nicht drängeln, Otto», sagte sie beruhigend. «Laß dir Zeit!»
    Aber gleich darauf begann er zu sprechen, und nun sprach er fast fünf Minuten hintereinander, in langsamen, kurz abgerissenen, sehr überlegten Sätzen, hinter deren jedem er erst einmal fest den schmallippigen Mund schloß, als komme nun bestimmt nichts mehr. Und während er so sprach, hatte er den Blick auf etwas gerichtet, was seitlich hinter Anna in der Stube war.
    Anna Quangel aber hielt die Augen während seines Sprechens fest auf sein Gesicht gewendet, und sie war ihm fast dankbar, daß er sie nicht ansah, so schwer wurde es ihr, die Enttäuschung, die sich immer stärker ihrer bemächtigte, zu verbergen. Mein Gott, was hatte sich dieser Mann da ausgedacht! Sie hatte an große Taten gedacht (und sich auch vor ihnen gefürchtet), an ein Attentat auf den Führer, zum mindesten aber an einen tätigen Kampf gegen die Bonzen und die Partei.
    Und was wollte er tun? Gar nichts, etwas lächerlich Kleines, so etwas, das so ganz in seiner Art lag, etwas Stilles, Abseitiges, das ihm seine Ruhe bewahrte. Karten wollte er schreiben. Postkarten mit Aufrufen gegen den Führer und
    die Partei, gegen den Krieg, zur Aufklärung seiner Mitmenschen, das war alles. Und diese Karten wollte er nun nicht etwa an bestimmte Menschen senden oder als Plakate an die Wände kleben, nein, er wollte sie nur auf den Treppen sehr begangener Häuser niederlegen, sie dort ihrem Schicksal überlassen, ganz unbestimmt, wer sie aufnahm, ob sie nicht gleich zertreten wurden, zerrissen ... Alles in ihr empörte sich gegen diesen gefahrlosen Krieg aus dem Dunkeln. Sie wollte tätig sein, es mußte etwas getan werden, von dem man eine Wirkung sah!
    Quangel aber, nachdem er zu Ende geredet hatte, schien gar keine Erwiderung von seiner Frau zu erwarten, die da still mit sich kämpfend in ihrer Sofaecke saß. Sollte sie ihm nicht doch lieber etwas sagen?
    Er war aufgestanden und wieder zum Lauschen an die Flurtür gegangen. Als er zurückkam, nahm er wieder die Decke vom Tisch, faltete sie zusammen und hängte sie sorgfältig über die Stuhllehne. Dann ging er an den alten Mahagonisekretär, suchte das Schlüsselbund aus seiner Tasche hervor und schloß auf.
    Während er noch im Schrank kramte, entschloß sich Anna. Zögernd sagte sie: «Ist das nicht ein bißchen wenig, was du da tun willst, Otto?»
    Er hielt inne in seiner Kramerei, noch gebückt dort stehend, drehte er den Kopf seiner Frau zu. «Ob wenig oder viel,
    Anna», sagte er, «wenn sie uns darauf kommen, wird es uns unsern Kopf kosten ...»
    Es lag etwas so schrecklich Überzeugendes in diesen Worten, in dem dunklen, unergründlichen Vogelblick, mit dem der Mann sie in dieser Minute ansah, daß sie zusammenschauderte. Und einen Augenblick sah sie deutlich vor sich den grauen, steinernen Gefängnishof, das Fallbeil aufgerichtet, in dem grauen Frühlicht hatte sein Stahl nichts Glänzendes, es war wie eine stumme Drohung.
    Anna Quangel spürte, daß sie zitterte. Dann sah sie rasch wieder zu Otto hinüber. Er hatte vielleicht recht, ob wenig oder viel, niemand konnte mehr als sein Leben wagen. Jeder nach seinen Kräften und Anlagen - die Hauptsache: man widerstand.
    Noch immer sah Quangel sie stumm an, als beobachtete er den Kampf, den sie in sich kämpfte.

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